“Seid Ihr wahnsinnig?” „Was wollt Ihr denn da?“ „Das kann doch nicht gut ausgehen.“  „Naja… Alles Gute dann und lasst Euch nicht umbringen.“ Mit diesen Worten wurden wir verabschiedet. Wie aufbauend  und die Panik der anderen war sogar fast ansteckend. Aber wem war es zu verdenken, immerhin gingen die Bilder der Ausschreitungen in Bangkok bereits seit Tagen um die ganze Welt. Die Opposition der Regierung, genannt die Rothemden, demonstrieren hier seit Februar und die Armee des Regimes hatte nun seit einigen Tagen versucht diese Demonstrationen aufzulösen. Auf ihre Art.
19 Tote und über 800 Verletze das bisherige Resultat. Mit weiteren Gewaltaktionen sei zu rechnen, so das Auswärtige Amt. Da lag es nah, dass sich Freunde und Familien etwas Sorgen machten als wir ihnen erklärten unser Weg nach Laos ginge über Bangkok. Aber war es begründet?
Absolut, denn wir wurden beschossen. Unsere Panik war groß als wir in dem gefüllten Shuttlebus zur Khao San Road saßen und zig Pistolen auf uns gerichtet wurden. „Oh mein Gott…“, sagte Anne. „…was sollen wir nur machen.“
Die Verzweiflung war deutlich zu erkennen. Jeder Passagier im Bus war ruhig. Kein Laut war zu hören. Alle beobachteten entsetzt das Geschehen, welches sich ausnahmslos durch jede Strasse und Gasse ausbreitete.
Es war aussichtslos und als wir beobachteten wie die ersten Bomben auf andere Menschen geworfen wurden, war es uns klar: uns kriegen sie auch.
An jeder Ecke, an jedem Laden und auf allen Kreuzungen, sie waren einfach überall. Pistolen die feuerten, Menschen die rannten und schrieen, dazu die Bomben. Wir sahen wie weiße Farbe verwirrten Menschen ins Gesicht geschleudert wurde, konnten aber nicht erkennen warum. Vermutlich diente sie als Markierung für die Verfolgten. Die Aufregung der Backpacker im Bus wurde daher immer größer.
Keiner wurde verschont. Auch wir nicht, dass wussten wir nun alle.
Der Bus hielt. Wir waren angekommen und erkannten, wir hatten keine Wahl, als das schützende Gefährt zu verlassen. Der Busfahrer war ebenfalls voller Angst beschossen zu werden und meinte wir müssten jetzt auf jeden Fall aussteigen. Er könnte uns nicht weiter mitnehmen. Also stiegen wir aus.
Den Franzosen, er hatte die ganze Zeit schweigend hinter uns gesessen, traf es als ersten. Die Pistole wurde ihm direkt ins Gesicht gehalten und abgefeuert. Das Wasser traf ihn so hart, dass er seine Sonnebrille verlor und einen Satz nach hinten machte. Die Panik unter den Buspassagieren brach aus. Drei Engländer liefen nach rechts. Die Rucksäcke noch nicht einmal vernünftig auf den Rücken geschnallt, rannten sie direkt in eine bewaffnete Gruppe. Diese wiederum zeigte kein Erbarmen. Verdammt, es waren noch Kinder, wie ich sehen konnte, aber ausgerüstet mit Gewehren. Ohne mit der Wimper zu zucken richteten sie ihre Waffen auf die ihnen entgegenkommenden Engländer und spritzten.
Keiner blieb trocken.
Das war’s. Sie hatte es also auch erwischt, dachte ich noch, als eine Wasserbombe direkt neben uns an der Busseite zerplatze. Was für ein Gemetzel. Ich schrie; „Anne lauf!“ Und Anne lief, nach links. Ein kleines Mädchen erkannte die Furcht in Annes Gesicht, was sie  sozusagen als Aufforderung erfasste ihr unbedingt die komplette Ladung ihres Plastikmaschinengewehrs ins Gesicht zu schießen. Es sah nicht schön aus, als Anne dabei versuchte sich unter dem armdicken Wasserstrahl hinweg zu tauchen und dabei mit ihrem Kopf einen kleinen Jungen gegen ein Auto stieß. Er fand das natürlich nicht so lustig und entleerte daher sein Fünflitermagazin über Annes Rücken. Dass da noch ein Rucksack hing, störte ihn weniger. Wir liefen weiter. Überall die Schreie der Getroffenen, das Geplatschte und dann das Gelächter der Peiniger. Die anderen Passagiere hatten sich mittlerweile alle in verschiedene Richtungen verteilt. Ich wurde bisher nur gelegentlich von einem Strahl getroffen, aber wusste, ich bräuchte nicht bis drei zählen um das zu bekommen, was unausweichlich war.
Mein Gegenspieler hatte keine Pistole, er hatte auch kein Gewehr, er hatte einen kleinen Eimer. Einen Eimer gefüllt mit Eiswasser.
Wir waren froh, dass wir am Flughafen noch unsere Technik in Plastiktüten verpackt hatten. Denn das war einfach unsere größte Sorge, unsere Kameras sowie den Laptop durch Wasserschäden zu verlieren. Aber bei diesen Wassermassen nützen im Endeffekt auch keine Tüten als Schutz. Deshalb stürmten wir in das erste Hostel, welches sich glücklicherweise auf unserer rechten Seite nach nur wenigen Metern auftat. Wir wollten einfach nicht weiter.
Vor sechs Jahren haben wir dieses Wasserfestival schon einmal miterlebt und ich muss sagen, wir hätten es besser wissen müssen.
Auch damals hatten wir den 14. April als Reisedatum gewählt und wurden dermaßen mit Wasser gefüllten Ballons bombardiert, dass wir Tage brauchten, um unsere Klamotten und Rucksäcke trocken zu kriegen. Und dieses Mal schleppten wir noch einen Haufen Technik mit uns herum.
Das Wasserfestival ist das thailändische Neujahrsfest und beginnt am 13. April und zieht sich hier in Bangkok bis zum 15. April hin und bedeutet eigentlich nur eins, man wird nass. Aber das sollte man bei diesen Temperaturen natürlich nicht als schlimm empfinden. Ganz im Gegenteil, es macht riesen Spaß. Die Musik, fröhliche Menschen und dazu eine ganze Menge Wasser, sorgen durchaus für ein Fest der ganz besonderen Art. Vorausgesetzt es befinden sich keine Wertsachen in seinen Taschen.
So landeten wir in Bangkok. Triefend nass und von den Rothemden bisher keine Spur.
Soweit das Auge reichte, Müll. Überall Müll. Es blieb einem kein Winkel erspart, an welchem man keine leeren Plastikflaschen, Papierreste oder irgendwelche alten Kunststoffverpackungen herumliegen sah. Abfallbehälter waren da, aber benutzt wurden sie von den Menschen offensichtlich nicht. Es war kein schöner Anblick und wir fragten uns, wie die Menschen hier nur so leben können, umgeben von ihrem eigenen Abfall. Dazu die unerträgliche Hitze, welche dem Umfeld einen unangenehm stickigen Geruch verlieh.
Wir saßen auf einer wackeligen Bank am Busbahnhof von Pakse und warteten auf unseren Bus zum Bolaven Plateau. Dreieinhalb Stunden Wartezeit waren zu bewältigen aber wir rührten uns keinen Zentimeter. Wie angewurzelt hockten wir auf der Sitzbank und beobachteten das emsige Treiben um uns herum.
Junge Männer die eifrig die wenigen Busse mit verschiedensten Sachen beluden, einige Marktfrauen, welche meist vergeblich ihre Waren anboten und viele Mütter mit ihren Kindern, welche ebenfalls noch eine gewisse Zeit auf ihren Transport warten mussten. Einige von ihnen ließen sich von anderen Frauen ihre Fuß- und Fingernägel machen. Diese hatten unverkennbar den Busbahnhof als ihren Gewerbestandort gewählt und machten sich nun eifrig daran, die Nägel der Frauen zu säubern um sie danach mit irgendeiner Farbe zu lackieren. Ich fand es ironisch und fragte mich, ob es überhaupt etwas nütze, zwischen all dem Dreck und Staub eine solche Reinigungsprozedur zu vollziehen. Höchstwahrscheinlich blieben die Füße eh nicht lange sauber.
Ein paar Kinder standen vor uns, schleckten genüsslich ihr Eis, wobei sie die Verpackung vorher einfach auf den Boden fallen ließen, und schauten uns an, als ob sie noch nie Menschen mit weißer Hautfarbe zu Gesicht bekommen hätten. Vielleicht aber auch nur weil wir so erschlagen aussahen. Fast zwanzig Stunden waren wir seit Bangkok unterwegs und somit einfach ausgelaugt. Nach mehrmaligem Umsteigen waren wir schließlich in Pakse gelandet, einer kleinen Stadt im Süden Laos, kurz hinter der Grenze zu Thailand.
Pakse dient den meisten Reisenden als Ausgangspunkt für die umliegenden Gebiete und zählt daher nicht unbedingt zu den Sehenswürdigkeiten im südlichen Teil dieses Landes. Genau wie für uns.
Die Gelassenheit der Laoten war sofort zu spüren. Alles verlief deutlich langsamer und man hatte nicht den Eindruck, als ob sie es auch nur ansatzweise eilig gehabt hätten. Ob beim Verstauen des Gepäcks, bei der Fahrkartenkontrolle oder überhaupt bei der Organisation der abfahrenden Busse, es machte eher den Eindruck von „irgendwie wird es schon gehen“.
Nach einer Ewigkeit, so kamen uns die drei Stunden jedenfalls vor, kam unser Bus. Wir stiegen sofort ein und machten uns bereit für die zweistündige Fahrt, indem wir die Lehnen der abgenutzten, kunstlederbezogenen Sitze etwas nach hinten stellten. Drei bis vier Marktfrauen liefen nun emsig um den Bus herum und hielten Tüten mit Baguettebrot zu den Fenstern hoch, wir aber lehnten dankend ab. Bei dieser Hitze war es schwierig ein Hungergefühl aufzubauen.
Mit einer dreiviertel Stunde Verspätung fuhren wir los. Wir hatten schon davon gehört, dass die Abfahrtzeiten hier sehr variieren, nahmen die Verzögerung aber sehr gelassen. Wir stoppten so ungefähr alle fünfzehn Minuten, wobei entweder Leute ausstiegen oder halt einige neue Passagiere hinzukamen. Dass aber jedes Mal mehrere Verkäufer den kurzen Halt nutzten um ihre Brote anzubieten fanden wir schon eher lustig. Es kamen nämlich meistens gleich drei von ihnen in den Bus gestürmt und schwenkten ihre Plastiktüten, voll gestopft mit Baguette, nach links oder rechts und machten dabei ein hoffnungsvolles Gesicht. Es war eben lustig, weil die Passagiere schon beim ersten Verkäufer ihren Kopf verneinend schüttelten, die beiden hinteren aber nicht aufgaben, um ebenfalls den Leuten im Bus das Brot anzudrehen. Was dachten sie nur, fragten wir uns. War es nicht offensichtlich, dass wenn niemand vom Ersten etwas kaufte bei den anderen nicht auch „Nein“ sagen würde. Es war schon amüsant, wirkte aber gleichzeitig auch etwas verzweifelt.
Wir erreichten das Dorf Tat Lo sicher in der Dämmerung. Das Schild am Wegesrand deutete auf ein Hostel. Wir gingen diesem nach und stießen auf eine junge Familie, bestehend aus Mr. Poh, seiner Frau und ihrem Baby. Es ist erst einen Monat, erzählte er uns voller Stolz. Sein Englisch ist sehr gut, bemerkten wir, und da wir noch kein Wort Laotisch sprachen, waren wir überaus froh, jemanden gefunden zu haben, der uns vielleicht gelegentlich einiges über Laos und seine Menschen berichten könnte. Deshalb zogen wir in eines seiner sechs Zimmer ein.
Während wir unser Gepäck ablegten, erzählte er uns, dass er vor kurzem noch ein Restaurant betrieb. Er hatte dieses geschlossen, damit seine Tante, die ebenfalls ein Restaurant besitzt und in diesem kleinen Dorf lebt, mehr Geld verdienen könnte. Das unterstrich seine Freundlichkeit für uns und wir waren froh dieses Gasthaus gefunden zu haben.
Am nächsten Morgen machten wir uns umgehend auf die Gegend zu erkunden. Das gesamte Dorf wirkte sehr ruhig und entspannend. Die Holz- oder Bambushütten, in denen die Familien dieses Dorfes lebten, waren auf Pfeilern errichtet und befanden sich links und rechts von einer einzigen asphaltierten Straße. Man konnte nicht erkennen, wo ein Grundstück aufhörte und ein anderes begann. Es wirkte daher sehr urig, eben sehenswert. Man hörte Hühner gackern, Schweine grunzen, aber am deutlichsten vernahmen wir das Lachen der vielen Kinder. Es war erstaunlich wie viele Kinder zu sehen waren. Alle wirkten sie glücklich und zufrieden.
Unser erster Eindruck von diesem Ort ließ somit die anfänglichen Beobachtungen von Pakse wieder verblassen. Wir bekamen ein wunderbar aufbauendes Gefühl, welches die Freundlichkeit der Menschen hier schlicht unterstützte. Fortwährend grüßte uns irgendjemand mit einem höflichen „Sabaidee“, was übersetzt „Hallo“ oder „Guten Tag“ bedeutet. Wir fühlten uns sehr wohl. Das meiste Leben jedoch fand am Fluss statt. Es wurde gefischt, gebadet, Wäsche gewaschen und sich eingeseift. Kaum jemand besaß hier daheim eine Dusche und es wurde folglich alles am oder im Fluss erledigt.
Der herumliegende Müll, was auch hier ein riesen Problem für uns darstellte, verlieh dem Geschehen im Wasser ein bizarres Bild. Wo man auch hinblickte, nur Abfall. Es war klar, dass auch hier in Laos, wie auch in einigen anderen Ländern Asiens, keine Müllbeseitigung seitens der Regierung existiert, aber wir konnten es uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass es die Menschen tatsächlich nicht stört. Keiner sammelt den Müll ein und auch niemand verbrennt es. Aber warum auch, dachte ich, sie haben halt keinen Vergleich.
Wir jedenfalls blickten über diese Sache hinweg und waren froh endlich einmal in Laos zu sein.
Der Mönch musste lachen, als ich versuchte ihm pantomimisch ein Wort zu erklären. Es war das Wort „important“ (wichtig), und ich habe keine Ahnung, wie wir genau dazu gelangten. Er nickte jedenfalls, um mir zu zeigen er hätte verstanden, was ich ihm erklären wollte, aber ich glaubte ihm nicht. Er wollte mich vielmehr von meinem peinlichen Mienenspiel entlasten, dachte ich und war ihm dankbar dafür, denn wie sollte ich ihm dieses Wort  auch anders beibringen.
Ich konnte immerhin kein Laotisch und sein Englisch war gerade im Anfangsstadium und so war es ein lustiges Schauspiel, als wir beide so an einander vorbeiredeten.
Sinnah, so sein Name, hatte mich am vorherigen Tag, während unseres Rundgangs durch das Dorf, gebeten, ihm etwas Englischunterricht zu geben. Ich willigte selbstverständlich ein und so saßen wir am darauf folgenden Tag auf dem gefliesten Boden des Tempels vor einer großen Buddha Statue, was mich ganz überwältigte, und blätterten zunächst in seinem alten Englisch-Laotisch Buch. Anfangen konnte er damit aber nichts, wie er mir erklärte. Denn seine Muttersprache war kein Laotisch, da er aus einem entfernten Dorf stammt und in diesem ein Dialekt gesprochen wurde, der dem Laotischen nur annähernd ähnelte. Er war also im Begriff zwei Sprachen gleichzeitig zu lernen, was die gesamte Prozedur für ihn deutlich erschwerte.
Er war in einem orangenfarbenen Gewand gekleidet und hatte wie alle anderen Mönche kurz geschorene Haare. Er war sehr fröhlich und es machte mir Spaß ihm und seinen Freunden etwas weiterhelfen zu können.
Es hatten sich nämlich noch weitere Mönche um uns versammelt und verfolgten konzentriert meinen Erklärungen. Dass sie dabei wahrscheinlich kaum ein Wort verstanden, stimmte mich eher traurig als lustig. Ich beobachtete sie, wie sie sich gerade einige englischen Sätze von Sinnah anhörten und konnte mir nicht vorstellen, wie es sein muss etwas lernen zu wollen, aber kaum eine vernünftige Möglichkeit zu haben. Kein Lehrer war vorhanden, auch kein Geld um einen zu bezahlen, ja nicht einmal brauchbare Bücher, aus denen sie sich hätten etwas beibringen können. Ich musste schnell aufhören diesen Umstand mit Deutschland zu vergleichen, wäre ich wohl sonst in völliger Melancholie verfallen.
Dennoch bewunderte ich ihre Wissbegierigkeit und ihren Eifer eine andere Sprache zu erlernen.
Es war indessen sehr schwierig für mich, so ganz ohne laotische Sprachkenntnisse, ihnen auch nur Ansatzweise Grammatik einzutrichtern. So begann ich mit ihnen das Alphabet aufzuschreiben, wobei sie es gemeinsam laut mitsprachen. Sie konnten es ausgezeichnet.
Unser Englischunterricht zog sich noch eine ganze Weile hin, als plötzlich eine weitere Gruppe von Mönchen in den kleinen Tempel trat. Sie gingen schnurstracks auf Anne zu, die die gesamte Zeit über mit der Filmarbeit beschäftigt gewesen ist. Der Kleinste von ihnen, ein Mönch mit unschätzbarem Alter, begann eine rege Unterhaltung. Es stellte sich heraus, dass er die besten Englischkenntnisse besaß, was uns sehr erfreute, da es dadurch seinen Mönchskollegen doch nicht komplett verwehrt war die Sprache zu erlernen.
Sein Englisch war beim besten Willen nicht perfekt, wie ich bemerkte, aber auf jeden Fall gut genug, um sich ausreichend zu verständigen. Er war wirklich nicht groß, hatte einen leichten Schnauzbart und für seine eher zierliche Körpergestalt eine tiefe Stimme.
Es gelang mir nicht sein Alter einzuschätzen, was mich regelrecht verdatterte. War er vierzig oder doch erst sechzehn, ich hätte es nicht sagen können. Er erzählte uns, dass er in der Dorfschule fast täglich Englisch unterrichtet und lud uns ein daran teilzuhaben, um den Kindern etwas beizubringen. Nichts lieber als das, dachten wir und sagten selbstverständlich zu.
So machten wir uns am nächsten Tag auf zur Schule. Es war wahrscheinlich das einzige Steinhaus im Ort und bestand eigentlich nur aus drei großen Räumen. In jedem dieser eine Tafel an der Wand und einige klapprige Holzbänke und dazugehörige Hocker für die Kinder.
Die Kinder waren schon da, als wir eintrafen. Der Mönch stellte uns vor und wir wurden mit einem lautem „Sabadee“ begrüßt.
Diesmal war Anne es, die die Fremdsprache näher brachte, während ich für die Filmaufnahme verantwortlich war. Sie begann mit der Vorstellung und schrieb „My name is Anne.“ an die Tafel. Sie wies mit einer Geste auf sich, währen sie den Satz laut vorlas. Nun ging sie auf einzelne Kinder zu und fragte „And what is your name?“. „Mei neem is Anne.“, die Antwort. „Oh, no… no. My name is Anne.”, und zeigte wieder mit dem Finger auf sich. „And what’s your name?“, erneut die Frage während sie auf den kleinen Jungen tippte, der da gerade vor ihr saß. Er dachte wahrscheinlich immer noch, er sollte ihre Aussage einfach wiederholen, und antwortete erneut mit „Mei neem is Anne.“. Jetzt konnte man die Verzweiflung in Annes Gesicht ohne weiteres erkennen. Sie blickte sich fragend um, entschied sich aber den Jungen einfach zu ignorieren und ging zu einem Mädchen links neben ihm. Aber auch ihr Name ist „Anne“, wie sie ihrer neuen Lehrerin mit einem Lächeln entgegnete. Als sich herausstellte, dass die gesamte Klasse den Namen „Anne“ hatte, gab die wahre Anne auf. Sie wandte sich Hilfe suchend an den kleinen Mönch. Dieser erlöste sie, indem er den Kindern die Frage und Antwort übersetzte und Anne begann erneut ihre Befragung.
Am Ende hießen zwar immer noch drei bis vier Kinder „Anne“, aber sie ließ sich davon nicht mehr stören. In der verbliebenen Zeit übte Anne mit ihnen das Alphabet, einige Wörter sowie die Zahlen von eins bis zwanzig. Es wurde laut, als die circa fünfzehn Jungen und Mädchen alles wiederholten, aber genau wie die Mönche zuvor, beherrschten auch sie diese bereits ausgezeichnet.
Nach der Verabschiedung sprachen wir noch eine ganze Weile mit dem kleinen Mönch. Wir erzählten ihm, welche Freude es uns bereitet hatte, seine Schüler unterrichten zu dürfen. Auch sagten wir ihm, dass es uns aufgefallen sei, dass einige der Kinder nicht einmal ein vernünftiges Blatt Papier besaßen, auf welchem sie hätten mitschreiben können.
Deshalb versprachen wir ihm, bei nächster Gelegenheit einen großen Vorrat an Schreibutensilien zu kaufen und sie sofort an diese Schule zu schicken. Auch wenn ich sein Alter nicht erraten konnte, aber seine Freude war dennoch zu sehen. Vielleicht ist es nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein, aber für die Kinder keines Falls vergebens.
Uns wurden zwei Plastikhocker für den Mittelgang gereicht, als wir den Bus betraten, denn der Bus war bereits völlig überfüllt und sogar im Mittelgang reihten sich die Leute bereits aneinander.
Ein voll gestopfter Bus ist  hier nichts Ungewöhnliches, dachten wir, mussten aber dennoch darüber lachen, als wir die Hocker in der Mitte aufstellten und uns setzten. Das Wort „voll“ kannten die Laoten also auch nicht wie es schien und auch ihre Devise heißt, übrigens genau wie bei den Vietnamesen, „Da ist immer Platz für einen mehr!“.
Wir waren jedenfalls sehr froh, dass wir die letzten Hocker abbekommen hatten, denn die zwei Stunden Fahrtzeit bei diesen miserablen Strassen wären im Stehen wohl zu einer kleinen Quälerei geworden.
Der Bus wurde derweilen voll gestopft, als sei es das normalste Ding der Welt. Es hörte einfach nicht auf. Alle fünfzehn Minuten stoppte der Bus und Leute stiegen ein, aber niemand stieg aus. Es ist jedes Mal ein Schauspiel für sich, mit anzusehen, wie gelassen die Menschen hier mit solch einem Gedrängel umgehen. Aber was sollte man auch machen, laut schreien der Bus ist voll? Wie schon gesagt, das Wort „voll“ hat hier eben eine ganz andere Bedeutung.
Deshalb empfand ich auch ein großes Mitgefühl für alle weiteren Passagiere, denn es gab keine Hocker mehr. Sie mussten stehen. Sollte man daher jemandem von der älteren Generation seinen Sitz anbieten, fragte ich mich. Meine Moral sagte ja, aber nein, andere Länder, andere Sitten. Jedoch, wenn eine alte Frau, von mindestens fünfundneunzig Jahren, hinkend und mit Krücken den Bus betreten sollte, oder vielleicht ein alter Mann mit nur noch einem Bein, da er das andere durch eine der Millionen Bomben die auf dieses Land geworfen wurden, verloren hatte, dachte ich, dann steh ich sofort auf und reiche ihr meinen hellblauen Plastikhocker. Aber nur dann.
Mit diesen Vorsätzen war ich zufrieden und verlor mein schlechtes Gewissen, hoffte aber insgeheim, dass nicht doch, ironischer Weise, diese beschriebenen Leute den Bus betreten würden.
So zog sich unsere holpere Fahrt dahin. Ich kämpfte mit dem Schlaf, da ich außer vielleicht den anderen Personen nichts hatte, woran ich mich anlehnen konnte und Anne kämpfte mit ihrer Platzangst. Sie schlief jedoch gelegentlich ein, wobei wieder ihr Kopf nickend vor und zurück fiel, und vergaß dadurch wenigsten für diese kurze Zeit ihre Beklemmung.
Eine ziemlich füllige Frau hatte sich inzwischen ihren Weg von vorne nach hinten gebahnt, um sämtliche Passagiere auf ihre Fahrkarten zu kontrollieren. Ich habe keine Ahnung, wie sie es schaffte, sich durch diese Menschenmasse zu manövrieren. Was ein Bild, aber anscheinend tat sie dieses nicht zum ersten Mal. Die zwei Stunden waren fast verstrichen, als ich das kleine Mädchen schräg vor mir beobachtete. Sie hatte gerade Pipi gemacht und zum Glück ist mir ihre Pinkel nicht über den Fuß gelaufen. Hatte ich doch nur Flip Flops an. Aber was sollte sie machen, der Bus war so gerammelt voll, da gab es wohl keine andere Lösung und sie machte einfach auf den Boden zwischen den zwei Sitzreihen.
Ihre Mutter hatte sie offensichtlich dazu ermuntert. Die Frau, welche die beiden dabei beobachtete, zeigte keine Regung. Es war also nicht das erste Mal, dass so etwas passierte, dachte ich, sagte Anne vorerst aber nichts davon. Ich wollte ihr die Fahrt nicht noch unangenehmer machen. Was hätte es auch gebracht. Immerhin war sie voll und ganz von ihrer Klaustrophobie geplagt.
Es war jedenfalls unglaublich was da soeben geschah und ich fragte mich ob diese Menschen wirklich so wenig Würde und Hygiene besaßen, dass sie nicht einmal dem Fahrer Bescheid gaben anzuhalten, damit das Kind seine Notdurft verrichten konnte. Aber höchstwahrscheinlich hätte der Fahrer ihr sogar noch eine Serviette zum abwischen gereicht.
Wir waren jedenfalls froh, als wir den ersten Zwischenstop erreichten und auf die Weiterfahrt brauchten wir nicht lange warten. Schnell ein Ticket besorgt und wir waren bereit für die nächsten vier Stunden Minibus. Danach ein Boot gechartert und wir erreichten unser Ziel.
Don Khon, eine der unzähligen Inseln im Mekong Fluss. Auch hier waren die Menschen sehr entspannt und freundlich. Immer ein Lächeln parat oder einfach nur ein freundliches „Sabaidee“.
Der Arbeitstag der Laoten beginnt um fünf Uhr morgens, zieht sich so bis circa elf Uhr dahin und danach verbringen sie die meiste Zeit in der Hängematte oder im Schatten unter ihrem Haus, bis sie dann am späten Nachmittag wieder aktiv werden, und ihrer Tätigkeit nachgehen. Das passt zwar nicht auf alle, aber die Mehrheit mag sich halt nicht gerne in der Mittagshitze bewegen. Und das zu Recht bei diesen Temperaturen.
Wir wohnten in einem günstigen Gasthaus direkt am Fluss und teilten uns den Balkon mit einem Pärchen aus Amerika, Christian und Emily. Sie sind wirklich sehr nett und wir verbrachten einige Zeit mit ihnen. So auch einen Abend des Tempelfestivals.
Die Besucher waren ausschließlich Einheimische und sie freuten sich umso mehr, als wir vier „Falang“, so das Wort für Ausländer, auf der Festwiese eintrafen. Uns wurde sofort ein Tisch gewiesen, dazu die Stühle gebracht und eine Kiste Lao Beer gereicht. Das war eine Party nach unserem Geschmack, dachten wir.
Es setzten sich einige Leute zu uns und wir teilten unser Bier mit ihnen. Der Sprecher auf der Bühne verkündete Lauthals das „One, Two, Three, Four“, so wurden wir von ihnen genannt, das Fest besuchten und baten uns durch Handzeichen nach vorne zu kommen und zu tanzen. Wir kamen nicht daran vorbei und machten uns daran, jeder mit einem Bier in der Hand, irgendwie rhythmisch nach der asiatischen Keyboardmusik mit integriertem Schlagzeugsound zu hopsen. Didelumdumdumdum, der Grundbeat im Zweivierteltakt.
Es war aber wirklich nicht einfach sich nach diesen Tönen zu bewegen, da kein deutlicher Takt zu erkennen ist. Der Gesang glich manchmal eher einem Gejaule und hörte sich an, als schwinge man einen Sack Katzen gegen die Wand.
Dennoch machten wir die Sache gut, ohne ein peinliches Bild abzuliefern.
Wir empfanden es als angenehm, dass die Einheimischen so sehr unsere Anwesenheit genossen. Jeder lächelte uns zu oder grüsste uns mit einem Kopfnicken. „One, Two, Three, Four“ tönte es dann noch so einige male aus den sich völlig überschreienden Lautsprechern, dazu wieder Didelumdumdumdum und wir schwangen unsere Tanzbeine. Anne musste ich dann jedes Mal von der Tanzfläche ziehen, da sie einfach nicht bemerkte, dass die Musik schon vorüber war. Sie war voll in ihrem Element und deshalb auch sehr traurig, als wir uns langsam auf den Heimweg machten.
In dem Restaurant, so circa zweihundert Meter von unserem Hostel entfernt, lernten wir den kleinen Siting kennen. Er arbeitet nach der Schule in dem Familienbetrieb und seine aufgebrachte Art zog uns förmlich in seinen Bann. Sein Englisch war ausgesprochen gut und wir bewunderten seine Wissbegierigkeit. Er war erst elf Jahre und wir freuten uns jedes Mal sehr, wenn er sich zu uns an den Tisch setzte und uns mit Fragen löcherte.
Er brauchte nicht einmal etwas sagen, als ich den gebratenen Reis bei ihm bestellte. Er schaute an mir herab, fasste sich dann an den Bauch, blickte wieder zu mir und schüttelte den Kopf. Es war eindeutig, Siting machte sich Sorgen um meine Diät.
Man, fühlte ich mich schlecht. Da hat mir so ein kleiner Elfjähriger gerade richtig die Devisen gelesen, dachte ich, und jeder Bissen viel mir schwerer als zuvor. Alle anderen am Tisch fanden das natürlich überaus lustig.
Der eigentliche Grund unseres Aufenthalts war jedoch der Mekong und seine Landschaft um ihn herum. Atemberaubende Wasserfälle, etwas verbliebener Urwald sowie einige Dörfer mit den üblichen Holzhütten. Jeden Tag machten wir uns auf, mit Fahrrad oder Boot, diese Schönheiten zu entdecken. Wir verbrachten Stunden auf dem Wasser und wurden letztendlich mit etwas ganz Besonderem belohnt.
„Oh mein Gott, Oh mein Gott, Oh mein Gott.“, schrie Anne, als der Tuk Tuk Fahrer ungebremst über die Kreuzung knallte.
„Ist der denn wahnsinnig?“
Das blecherne Quietschen ab und an konnten wir nicht zuordnen, aber der Typ hinter dem Steuer musste einfach verrückt sein. Keiner fährt mit solch einem Affenzahn über sämtliche Kreuzungen auf einer Strecke von drei Kilometern.
Da wieder, das blecherne Quietschen. Wir hatten keine Ahnung was es war.
Wir saßen auf den zwei seitlichen Sitzbänken hinten auf der Ladefläche des Tuk Tuk’s und eine Glasscheibe trennte uns zu dem Fahrer auf dem Moped vor uns. Das Tuk Tuk ist wohl das geläufigste Verkehrsmittel in Laos. Ein dreirädriges Gefährt mit überdachtem Hänger und auf diesem, normaler Weise, Platz für höchstens sechs Personen.
Es ist günstig und in eigentlich jeder Stadt, vor allem hier in Vientiane, der Hauptstadt Laos’, überall zu finden.
Dass einige Laoten sich manchmal aus Versehen verzählen und das Gefährt mit mehr als zwölf Personen beladen, spielte für uns gerade keine Rolle.
Wir saßen nur zu zweit auf der Todesschleuder und hatten uns dieses Tuk Tuk nur gemietet, damit wir uns das bedeutendste Monument Laos’ ansehen können. Hätten wir allerdings gewusst, dass dieses unsere letzte Fahrt überhaupt sein könnte, wären wir wohl besser gelaufen. Das blecherne Quietschen wurde lauter. Es ging etwas bergab und der Selbstmörder da vorne auf dem Moped, war gerade über eine weitere Kreuzung geballert und anschließend wieder ungebremst in eine Linkskurve geprescht, wobei sich das gesamte Mobil auf das rechte Hinterrad legte. Zum Glück saß Anne auf dieser Seite, so konnte mein Übergewicht uns schnell wieder auf das zweite, linke Hinterrad zurück drücken.
Anne wimmerte laut und klammerte sich aus Überlebenswillen instinktiv am oberen Gestänge fest. Ich wiederum überlegte, wie ich diese ganze Szene mit der Kamera festhalten könnte, aber es war aussichtslos. Ich kam vor lauter Gewackel nicht einmal nach unten an die Kameratasche.
Aber es war eh zu spät. Circa dreihundert Meter vor uns war Stau und als unser Kamikazepilot ohne zu verlangsamen darauf zuhielt, war es klar, wir werden sterben, so dachten wir.
Anne schrie „Stop, Stop, Stop…you idiot!“, aber er hörte uns vor lauter Gequietsche nicht und es war unverkennbar, wir konnten nicht stoppen. Denn das blecherne Quietschen waren die Bremsen, oder besser das, was einmal die Bremsen gewesen sind. Der nun unglückliche Versuch die Fahrt zu verlangsamen, indem er das Tuk Tuk in einer Schlangelinie lenkte, war lächerlich. Das war’s, dachten wir und sahen es kommen. In nur einem Augenblick würden wir, immer noch in Schlangenlinie dahinpreschend, volle Kanne in die unzähligen Mopeds, Autos und  anderen Tuk Tuk’s hineinjagen.
Aber wir gelangten nicht mal bis zum Staubeginn. Das Mädchen kam von Links auf unsere Fahrbahn und der Verrückte erwischte sie gnadenlos. Er versuchte wohl noch auszuweichen, rollte aber gekonnt in ihre linke Seite, wobei er ihr gleichzeitig das Eisengelände des Hängers in den Rücken rammte. Wir waren schockiert und hatten geglaubt dem Mädchen wurde soeben die Wirbelsäule gebrochen. Aber ihr war nichts Schlimmes passiert und wir waren überaus froh, als sie unbeschadet zurück auf ihr Moped stieg und davonfuhr. Auch, das wir nun endlich zum Stehen gekommen waren.
Wir hatten genug und drückten ihm kopfschüttelnd die vereinbarten Ein Euro Fünfzig in die Hand. „You should fix your brakes, man.“, sagte ich noch, doch bekam nur ein lautes Lachen zurück.
Wir gingen die verbliebenen vierhundert Meter zu Fuß und erreichten das Pha That Luang.
Wir gelangten nach Vientiane am Morgen zuvor und hatten bereits beschlossen, hier mindestens zwei Tage zu verbringen, da es zwei Sehenswürdigkeiten gibt, die wir unbedingt mit der Kamera festhalten wollten. Den Buddha Park, einem großen Garten mit enormen Buddhisten und Hindu Skulpturen sowie, wie schon erwähnt, das Pha That Luang, dem bedeutendsten Denkmal Laos’.
Danach ging es weiter nach Vang Vieng.

Unsere Erwartungen waren grausig. Alle hatten uns vor dieser Stadt gewarnt. Egal welchen Reisenden wir zu ihr befragten, immer die gleiche Antwort: „Laute Nightclubs, gestresste Anwohner und überall betrunkene Teenies, die einem angeblich schon am Busbahnhof entgegentorkeln.“ Wir erwarteten das Schlimmste, wollten diesen Ort wegen seiner Landschaft aber dennoch nicht auslassen.
Unsere Erwartungen waren demnach soweit am Boden, dass wir gar nicht mehr enttäuscht werden konnten. Es musste einfach besser werden, so hofften wir und waren auf das Kommende gespannt.
Früher gab es hier angeblich nur wenige Gasthäuser und Restaurants und der einzige Grund für die meisten Reisenden, diesen Ort hier aufzusuchen, war eben diese spektakuläre Gegend, welche diese Stadt umgibt. Dramatische Kalksteingebirge untersetzt mit unzähligen Höhlen, Klippen und Gräben.
Heute sprießen die Gasthäuser, Restaurants und Touranbieter hier förmlich aus dem Boden. Wo man auch hinschaut, man findet eines von dem genannten. Falls nicht, entdeckt man zumindest eine Baustelle, wo wahrscheinlich eine weitere Unterkunft für die vielen Backpacker entstehen wird.
Aber nicht nur die Landschaft zieht tausende Rucksackreisende jährlich hierher, sondern vor allem das “tubing”. „Tubing“ heißt in einem Traktorreifen zu liegen und sich in diesem Fall den Nam Song, also den Song Fluss, herunter treiben zu lassen. Fast ein Jeder tut es hier. Da sich mittlerweile entlang der gesamten dreieinhalb Kilometer Flusslinie Bars und kleinere Schnaps- und Bierstände angesiedelt haben, ist aus dem Reifentrip eine ganz andere Angelegenheit geworden.
Was für die Amerikaner „Springbreak“ in Cancun, Mexiko,  für die Deutschen „Ballermann“ auf Mallorca, Spanien oder für die Druffies „Full Moon“ auf den Inseln Thailands bedeutet, Nam Song Tubing in Vang Vieng ist die Party für den Rest der Welt.
Musik aus riesen Lautsprechern, Tanzflächen voller Leute, Schwingseile mit Sprung ins Wasser, Schlammschlachten, Trinkspiele wie Shots aus den Bauchnabeln von nackten Körpern und Billigschnaps aus Eimern, nur ein Ansatz von dem, was einen hier erwartet. Man treibt auf dem Fluss, stoppt an einer Bar, bekommt sein Getränk, leert es und treibt weiter.
Bar für Bar, Eimer um Eimer, wer es am weitesten schafft, hat nicht unbedingt gewonnen, sondern kotzt eher über das Bambusgelände der Flussbar.
Mindestens fünf Tote sind bereits zu verzeichnen. Egal ob durch Ertrinken, Sprung auf einen Stein oder Drogenüberdosis, es geht „non stop“ und hört nicht auf. Man kann da sagen was man will, ich nenne das eine „Party“.
Wir wollten dieses Spektakel natürlich aufnehmen und waren noch nicht einmal aus dem Tuk Tuk gestiegen, da wurde uns der erste Eimer, gefüllt mit Lao Lao Whiskey und einem Spritzer Red Bull, entgegengereicht. „Na das kann ja was werden.“, dachten wir, denn ganz wohlig war uns nicht bei dem Gedanken, mit unserer Ausrüstung durch die Reihen Besoffener, bestehend hauptsächlich aus Engländern, Australiern und Kanadiern, zu marschieren. Aber es wurde besser als gedacht. Wir machten schöne Aufnahmen und hatten gleichzeitig eine tolle Zeit. Anne schlürfte an ihrem Bucket, dem Schnapseimer und beobachtete gerade einen Engländer, der alle Schwimmenden beiseite winkte, weil er vorhatte, sich in den Nam Song River zu übergeben. Mir wurde derweil, gleich nach dem verlorenen Trinkspiel mit den Kanadiern, „Fuck the Full Moon“ auf den Bauch gesprüht.
So feierten wir noch eine ganze Weile und fielen später erschöpft vom Anheben der vielen Bucket’s ins Bett.
Wie man diese Sache auch betrachtet, es hat immer seine Vor- und Nachteile. Was für die Einwohner viel Geld bedeutet, heißt für die Natur Zerstörung. Denn auch hier findet man unzählige Baustellen, welche den kommenden Touristenboom ankündigen. Beton ersetzt Bambus, kein seltenes Bild. Andererseits die Idee des gemeinsamen Feierns von Menschen aus aller Welt wirkt global und bildet Freundschaften, die nicht alltäglich sind. Das ist Vang Vieng. Gleich am nächsten Morgen machten wir uns auf, mit noch etwas schwerem Kopf, die Kalksteingebirge zu erkunden. Wir hatten uns ein Moped geliehen und tuckerten über die holprigen Sandstrassen. Bei einer kurzen Rast, wir wollten uns nur schnell eine Flasche Wasser kaufen, lernten wir Phosit kennen. Phosit ist ein zweiundsechzigjähriger Mönch aus Thailand. Er lebt seit einem Jahr in Laos und spricht, da er sechs Jahre in Deutschland gearbeitet hatte, sogar deutsch.
Wir fanden das schon wieder sehr lustig, dass uns ausgerechnet hier, jemand auf Deutsch ansprach und ließen uns nicht lange drängeln, seiner Einladung, uns etwas zu ihm zu setzen, Folge zu leisten. Wir redeten stundenlang und es stellte sich heraus, dass er der Englischlehrer der Hmong-Dorfschule ist.
Es führte eines zum anderen und wieder standen wir vor einer Klasse und unterrichteten Englisch. Zu Höchstzeiten hat er sechsundneunzig Kinder zu lehren, wie Phosit uns erzählte, was uns unbegreiflich erschien. Allerdings konnte man auch deutlich einen Erfolg seinerseits erkennen, die Kinder sprachen bemerkbar gutes Englisch, waren auch hier sehr wissbegierig und hatten zu unserer Freude alle einen Stift und ein Heftchen, indem sie ihre Notizen aufzeichnen konnten. Wir redeten zwei Stunden mit den Kindern über Deutschland und stellten sogar Vergleiche zwischen Laos und unserem Heimatland an. Es machte uns wieder viel Spaß. Phosit erzählte uns, er bekomme für seine Arbeit als Lehrer keine Bezahlung. Fünf Tage die Woche, fast hundert Kinder täglich, wenn alle anwesend sind, und nur ab und zu mal etwas Reis und Gemüse von den Eltern der Kinder. Das war das Gehalt für seine Arbeit. Wir waren sprachlos. Selbstverständlich gehört es zu seinen Pflichten als Mönch, aber dennoch war ich persönlich sehr angetan von seiner ruhigen und gewissenhaften Art.
Bewundernswert, dachte ich, wie er versucht den Kindern nicht nur eine so wichtige Sprache beizubringen, sondern auch ein Umweltbewusstsein bei ihnen zu erzeugen, was in Zukunft gesprochen, einen außerordentlichen Fortschritt für dieses Land bedeuten würde, vorausgesetzt diese Denkensweise wäre allgemein verbreitet. Er unterrichtet nämlich auch Allgemeinwissen über Müllsortierung und der dazugehörigen Beseitigung, wie er uns erzählte. Immerhin einen kleinen Schritt weiter in Richtung Besserung, dachten wir.
Wir plauderten noch ewig und ich war sehr froh Phosit kennen gelernt zu haben und da wir auch ihm und seiner Schule etwas weiterhelfen wollten, brachten wir ihm schon am nächsten Morgen, eine große Kiste mit Englischbüchern, Heften, Stiften und anderen Schreibutensilien.
Vielleicht nicht viel, aber es fühlte sich ungemein gut an.

Mir war schlecht bis zum umfallen und ich hatte die Toilette gerade zum fünfundfünfzigsten Mal aufgesucht. Egal was ich machte, es wurde nicht besser. Die Magenkrämpfe ließen einfach nicht nach und trank ich einen kleinen Schluck Wasser, musste ich schon aus Klo, während ich den Deckel noch auf die Flasche schraubte.
Es war zum verrückt werden. Anne hatte diese gemeine Prozedur gerade hinter sich und war verständlicher Weise froh, wieder gesund zu sein. Auch bei ihr war es dieses Mal sehr unangenehm gewesen.
Aber so war er nun mal, „The Traveler’s Diarrhoea”, der Reisedurchfall.
Beinahe die Hälfte aller Asienbesucher bekommt ihn schon in den ersten Wochen und bei circa achtzig Prozent dieser Fälle wird er durch Bakterien verursacht, zu finden zum Beispiel in ungeschältem Obst oder auch ungewaschenem Gemüse.
Wir waren bereits einige Wochen unterwegs und ich hatte keine Ahnung, wie wir uns diesen Schlamassel doch noch eingefangen hatten, aber es spielte eh keine Rolle mehr.
Ich war einfach nur froh in einem gemütlichen Hotelzimmer zu sein. Dort konnte ich mich wenigstens hinlegen und hatte es nicht weit zur Toilette. Ich meine eine Toilette wie wir sie kennen, weißes Porzellan, sauber und zum draufsetzen und keine von diesen asiatischen, bei welchen man sich in die gleiche Körperhaltung begibt, als hätte man sich ein Loch im Wald gebuddelt.
Diese bestehen nämlich nur aus einem länglichen Porzellanbecken im Boden und daneben einem großen Wasserbehälter mit einer Schöpfkelle zum Spülen. Besser gesagt zum Nachkippen. Aber Vorsicht beim Nachkippen, denn der Beckenrand ist nicht besonders hoch, und wenn man das Wasser zu eilig hineinschüttet, dann schwappt das vorher hinein Getane auch gerne mal wieder mit hinaus und das ist kein schöner Anblick.
Tage zuvor hatte Anne es jedenfalls nicht so luxuriös. Wir sind nämlich auf einer langen Busreise gewesen, als sie ihre schlimmste Zeit erleiden musste. Magenkrämpfe und Durchfall machten ihr diese Fahrt zur Hölle.
Sie hatte zwar die halbe Packung Immodium Akut geschluckt, kam aber dennoch nicht umher die „alb“traumhaften Toiletten auf den Rastplätzen mehrfach aufzusuchen.
Und was bei Durchfall auf diesen Klosetts passiert, darüber möchte man eigentlich nicht einmal nachdenken.
Kein Beckenrand zum Schutz und zwanzig bis dreißig Zentimeter freie Luftlinie sorgen für ein Bild des Grauens.
So sehr man sich auch bemüht die Richtung zu halten, das Wort Spritzputz bekommt hier eine völlig neue Bedeutung.
Also was genau mit Anne dort geschah, weiß ich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen und ich glaube, das ist auch besser so. Die Asiaten aber kennen es nicht anders. Sie sind so aufgewachsen und es stellt demnach kein Problem für sie dar, diesen Abort aufzusuchen. Es ist das normalste Ding der Welt.
Nun, ich bin kein Asiat, ich bin Deutscher. Ich bin fett, kurz und ungelenkig und es fällt mir schwer mich über dieses Becken zu knien ohne mir eine Muskelzerrung oder einen Wadenkrampf zuzuziehen.
Aber was tut man nicht alles fürs Reisen und eigentlich gewöhnt man sich ja an vieles. Und für die nicht fetten, längeren und gelenkigen Personen unter uns, stellt sich diese Prozedur dann auch als nicht so schwierig heraus, wie für mich.

Der eigentliche Grund unseres Aufenthalts in Luang Prabang waren nicht nur der berühmte Kuang Si Wasserfall oder der lokale Markt, auf welchem angeblich die exotischsten Waren zu finden seien, sondern die Mönche.
Diese begeben sich nämlich jeden Morgen auf eine Almosentour durch die Stadt. Sie starten dabei in kleineren Gruppen an ihrem jeweiligen Tempel und ziehen auf bestimmten Routen durch die Strassen und Gassen des Stadtzentrums.

Einige Bewohner der Stadt knien dann in einer ehrerbietigen Haltung am Straßenrand und spenden den Mönchen Reis, Gemüse oder sogar etwas Obst.
Und das jeden Morgen seit hunderten von Jahren.
Wir wollten dieses Spektakel auf keinen Fall verpassen und unbedingt festhalten und begaben uns gleich am nächsten Morgen, nach unserer Ankunft in der Stadt, auf die Suche nach einer geeigneten Position für die Kamera.
Unsere Aufregung war deutlich zu spüren, als wir morgens um kurz nach fünf Richtung Markt liefen. Das war die Kulisse die wir brauchten, dachten wir. Ein lokaler Markt, mit den exotischen Waren und lauten Marktfrauen und dazu die vorbeiziehenden, so farbenprächtigen Mönche. Besser ging es nicht.
Der Markt war schon voll in Gange als wir ankamen. Die meisten Frauen und Männer bauten ihre Stände zwar erst auf, dennoch boten einige von ihnen ihre Waren bereits feil. Zwei lange aber sehr enge Gassen waren der Standort des regen Handelsverkehrs in denen die Verkäufer links und rechts Platz nahmen um ihre Sachen anzubieten.
Somit wurde es zwar kompliziert auf dem verbliebenen Weg dahin zu schreiten, ohne andauernd entgegenkommende Passanten anzurempeln, aber uns war das egal. Wir waren einfach nur froh endlich in Luang Prabang zu sein.
Wir hatten schon so viel Gutes von dieser Stadt gehört, dass wir es in den vergangenen Wochen gar nicht erwarten konnten, endlich hierher zu kommen.
Die französische Architektur der Altstadt sei faszinierend, die Umgebung traumhaft und auch die Menschen seien hier überaus freundlich. Das wurde uns mehrfach von anderen Backpackern vorgeschwärmt und Anne und ich gerieten jedes Mal in einen wahren Freudentaumel, wenn wir auch nur daran dachten.
So zogen wir, mit einem Grinsen im Gesicht, über den Markt, bereit in Kürze die Aufnahme unseres Lebens zu machen.
Wir positionierten uns an einer Stelle, von welcher aus wir die beiden Enden der Gassen sehen konnten, um die uns folglich entgegenkommenden Mönche rechtzeitig zu bemerken und warteten auf diese. Wir warteten.
Danach warteten wir noch ein bisschen. Dann noch etwas, aber keine Mönche in Sicht.
Einige Marktfrauen beobachteten uns schon eigenartig. Sie fragten sich vermutlich, warum wir die Kamera aufgestellt hatten, ohne sie zu bedienen, kümmerten sich dann jedoch nicht mehr wirklich um uns.
Sie waren sichtlich Kameras gewohnt und wir erkannten dadurch schnell, dass hier schon öfter Leute mit Filmkameras unterwegs gewesen waren, um anscheinend genauso die Mönchsprozedur aufzuzeichnen wie wir es wollten.
Das gab uns wieder Aufschwung und wir warteten weiter.
Es war bereits kurz nach sieben als wir aufgaben. Wir hatten uns umsonst aus dem Bett gequält.
Es war enttäuschend gewesen und sofort meldeten sich die Magenkrämpfe zurück. Wir hatten uns so darauf gefreut und begannen nun daran zu zweifeln, ob die Prozedur überhaupt noch jeden Morgen von den Mönchen und Anwohnern vollzogen wird.
Aber ja, sagte uns später ein kleines Mädchen aus unserem Hostel. Sie laufen aber schon lange nicht mehr direkt über den Markt, erzählte sie uns weiter. Na das war klug, dachten wir, und fühlten uns etwas schwachköpfig, da wir nicht schon zuvor den Gedanken hatten, jemanden nach der genauen Route der Mönche zu befragen. Wir sprachen danach nicht mehr darüber und taten so, als sei nichts passiert, bereiteten uns aber insgeheim darauf vor, gleich am nächsten Morgen erneut Stellung zu beziehen.
Es dauerte fünf Tage bis wir die Aufnahmen hatten die wir brauchten. Es wurde sogar ein bereits gewohnter Ablauf für uns.
Halb fünf hoch, um fünf aus der Tür, dann in die Stadt um die einzelnen Gruppen der Mönche zu filmen, danach zum Markt um weitere Aufnahmen zu machen, dann Frühstück und zurück zum Hostel, um das Aufgenommene auszuwerten, so zogen sich unsere Tage dahin.
Luang Prabang ist ein Weltkulturerbe und die Bewohner zahlen hier deshalb angeblich mehr Steuern als anderswo im Lande, trotzdem sind die hinterlassenen Spuren des hier stattfindenden Massentourismus bereits deutlich zu erkennen. Hohe Preise für Essen und Getränke, verglichen mit den bisherigen Orten Laos’, hunderte von Gasthäusern und europäischen Restaurants und unzähligen Touranbieter, nur ein Teil von dem, was einen hier erwartet. Auch die Freundlichkeit der Menschen hier ist vermutlich durch die Scharen von Pauschaltouristen etwas verblasst.
Erschreckend war es jedoch für uns mit anzusehen, wie viele Bettler bereits auf den Strassen unterwegs waren. Egal ob Kinder oder Erwachsene, sehr häufig beobachteten wir, wie sie hauptsächlich ältere Urlauber nach etwas Geld anflehten. Das Schlimme dabei, sie haben ihr ersuchtes Geld bekommen.
Ein sehr heikleres Thema, wobei der Glaube etwas Gutes zu tun so trügerisch sein kann, denn helfen tut man den Menschen hier in Laos sowie in vielen anderen Ländern dieser Welt dadurch nicht. Ganz im Gegenteil, sage ich.
Diese eine, kleine Darbringung hat im Endeffekt fatale Folgen.
Der gutgläubige Tourist aber sieht das nicht. Er fühlt sich gut, besitzt er doch ein dickes Portemonnaie und wenn er einen geringen Teil davon hergibt, dann ist das doch eine gute Sache und er selbst fühlt sich hervorragend, geholfen zu haben.
Ja meistens berichtet er davon sogar zu Hause und erzählt seinem Nachbarn, nach seinem zweiwöchigen Urlaub, von den armen Menschen dort und weiter voller Stolz, wie er jedem nach Geld fragenden geholfen hätte.
Aber nun ist er wieder daheim und sieht die Veränderung nicht mit an, die er mit verursacht hat, denn wahrscheinlich fährt er nie wieder zurück in das vorher beschriebene Urlaubsland.
Dort aber ist das Betteln nach nur kurzer Zeit ein lukratives Geschäft geworden. Der Kumpel vom Bettler hat mitbekommen, wieviel Geld dieser damit verdient und hat beschlossen, ebenfalls diesem Gewerbe nachzugehen. Er ist sogar noch etwas schlauer und betreibt sein Business nicht alleine. Er nimmt seine Kinder aus der Schule und lässt auch diese zehn, zwölf Stunden und sieben Tage die Woche die Touristenpassage entlanglaufen, um von den großen, dicken Urlaubern Geld zu erbitten. Und dass mit grandiosem Erfolg, denn wer kann schon „Nein“ sagen, zu einem kleinen und völlig zerlumpten Kind.
Ein Teufelskreis, denn je mehr Erfolg dadurch zu verzeichnen ist, desto mehr Kinder sieht man betteln.
Wie schon erwähnt, ein sehr heikleres Thema und so manch einer mag diesem nicht so recht Glauben schenken und es fällt schwer sich vorzustellen, dass ausgerechnet der eine Dollar, der dort verschenkt wurde zu solch einem Übel heranwachsen würde. Aber Länder wie Kambodscha oder Vietnam zeigen es deutlich. Dort hat die Bettelei, vor allem in großen Städten, bereits solche Ausmaße angenommen, dass es einem unmöglich erscheint auch nur ungestört auf der Strasse entlangzugehen.
Es ist lästig und die Almosen fordernden Kinder verstehen dort mittlerweile kein „Nein“ mehr und so kommt es, dass man selber laut wird und genervt brüllt oder einfach nur die Flucht ergreift und sich im nächsten Gebäude verschanzt.
Aber auch an diesen Orten muss es einmal begonnen haben, dachten wir, und so kam es, dass wir während eines Mittagessens uns ans Herz gefasst haben und ein älteres Pärchen baten, dem bettelnden, jungen Mann doch bitte kein Geld zu geben. Es waren Amerikaner, wie wir deutlich an ihrem Akzent erkennen konnten, und sie waren die Ältesten an den vielleicht sechs besetzten Tischen. Wir saßen schräg hinter ihnen in diesem kleinen Restaurant. Der junge Mann steuerte direkt auf sie zu und ich fragte mich, warum er nicht auch von den anderen Gästen im Lokal eine Spende zu erbetteln versuchte.
Diese aber waren sichtlich jünger und er kannte „seine“ Touristen wahrscheinlich genau. Er konnte ahnen, von wem er Geld zu erwarten hatte und von wem nicht. Wir versuchten dem Paar höflich zu erklären, warum wir dachten, es sei keine so gute Idee ihm Geld zu geben und sagten weiterhin, dass wenn sie wirklich helfen wollen vielleicht eine kleine Spende an die Schule entrichten könnten. Diese befand sich nämlich ungefähr einhundert Meter weiter, dennoch ernteten wir nur Spott von ihnen und sie gaben dem jungen Mann fünfzig Cent.
War es richtig von uns etwas zu sagen, fragte ich mich. Oder war es unhöflich, sich in die Handlungen anderer einzumischen. Wie dem auch sei, wir vertreten unsere Meinung und nur weil man Bettlern kein Geld gibt, heißt es noch lange nicht, dass ihre Armut spurlos an uns vorbei zieht.
Deshalb hatten wir schon zuvor den großen Markt in Luang Prabang aufgesucht, um unser Versprechen zu erfüllen. Wir kauften haufenweise Hefte, Stifte und englische Übungs- und Wörterbücher und verschickten die Hälfte davon nach Tat Lo. Die andere Hälfte nahmen wir mit für eine Schule, von der wir noch gar nicht wussten, dass wir sie aufsuchen würden.
Wir hofften nur, dass das Paket sein Ziel auch erreichen wird.
„Fahrt da nicht hin. Fahrt da bloß nicht hin.“, sagte der Australier zu uns.
Wir saßen auf einer Bank vom Busbahnhof in Luang Nam Tha, als uns Ashley der Australier fragte, ob wir auch nach Pak Mong fahren würden. Wir verneinten und erklärten ihm unser Ziel sei eigentlich weiter oben im Norden, in Muang Sing, nahe der Grenze zu Burma und China. Unsere Tickets dahin hatten wir kurz zuvor bezahlt und warteten im Augenblick auf unseren Bus.
Wir hatten eine Nacht in Luang Nam Tha verbracht, nach einer langen und anstrengenden Fahrt von Luang Prabang am Tag zuvor. Nun warteten wir auf eine weitere holprige Busfahrt, und dieses Mal eben nach Muang Sing.
Wir wussten nicht wirklich, was uns dort erwarten würde und waren eigentlich nur darauf erpicht etwas Interessantes zu entdecken, für uns und selbstverständlich für die Kamera.
„Fahrt da bloß nicht hin.“, sagte Ashley nochmals, wobei er dieses mal verneinend seinen Kopf schüttelte.
Wie sich herausstellte kam Ashley gerade, zusammen mit einer ganzen Truppe von Backpackern aus verschiedensten Ländern, von dort oben zurück. Alle von ihnen waren sehr entnervt und ziemlich am Ende ihrer Kräfte. Sie erklärten uns wie wenig sie es dort im Norden genossen hatten. Die Leute seien absolut unfreundlich, ja schon fast streitsüchtig, wie sie uns weiter berichteten. Die Natur sei zwar sehr schön, aber das war es angeblich nicht wert. Die Leute seien einfach zu verächtlich, um den Rest genießen zu können, wie sie uns durcheinander erzählten.
Wir hatten uns zur Gruppe gesellt und standen nun etwas abseits der Sitzbänke des Busbahnhofs. Die Gruppe bestand aus sieben Leuten. Drei junge Frauen aus Frankreich, Australien und Iran und vier junge Männer aus Südafrika, Tschechische Republik, Österreich und eben Ashley aus Tasmanien, in Australien. Alle von ihnen waren der Meinung, dass diese Unfreundlichkeit von den Massen an Chinesen ausgeht,  denn diese hatten sich schon seit etlichen Jahren im Norden Laos’ niedergelassen. Es machte Sinn, hatten wir ja selbst schon viele Male schlechte Erfahrungen mit Chinesen machen müssen. Es ist schwer zu beschreiben, aber uns kommt es vor, als nehmen diese Menschen keine Rücksicht auf andere Personen, Tiere oder gar Pflanzen. Ja eigentlich „scheißen“ sie regelrecht auf den gesamten Planeten, sind daher sehr egoistisch was folglich zu einer gnadenlosen Unfreundlichkeit führt. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, aber leider sind diese von der Anzahl sehr gering.
Für uns waren genügend Worte gefallen und unsere Entscheidung stand deshalb fest. Wir würden nicht bis hoch in den Norden fahren. Wir holten uns das Geld für die Tickets zurück und schlossen uns somit der internationalen Truppe an.
Später saßen wir zusammen bei einem Kaffee und quasselten was das Zeug hielt, denn immerhin lernten wir uns gerade kennen. Wie sich herausstellte hatten die Sieben sich erst vor kurzem in Laos getroffen, konnten sich anscheinend gut leiden und hatten deshalb ihre Reise gemeinsam fortgesetzt.
Nun gehörten Anne und ich auch zu der Gruppe. Wir hatten anfangs zwar noch etwas überlegt, ob wir nicht doch allein weiter ziehen sollten, entschieden uns aber für diesen internationalen Mix aus Laos Interessierten.
Es ist nämlich nicht so leicht in größerer Gesellschaft zu reisen, das wussten wir genau. Denn fast in jedem anderen unserer bereisten Länder kam es früher oder später dazu, dass wir uns einer anderen Gruppe angeschlossen hatten. Ob nun für eine kurze oder lange Zeit, es kann manchmal schwieriger werden als man denkt. Alles braucht nun seine Zeit. Planungen, die Mahlzeiten, das Reisen von Ort zu Ort oder einfach nur ein Besuch der nächsten Sehenswürdigkeit. Je größer die Gruppe, desto mehr Zeit sollte man einplanen. Aber das sind nur die wenigen negativen Dinge, denn die Positiven überschatten eigentlich alles.
Da ist zum Beispiel die Sicherheit die man durch die Gruppe bekommt, denn machen wir uns nichts vor, ein Diebstahl oder gar ein Handtaschenraub wird bei einer großen Gruppe beinahe unmöglich für einen Kriminellen. Dann ist da auch der Unterhaltungsfaktor, ob nun durch eine kleine spontane Feier oder einfach nur beim Schlendern durch die Stadt oder Natur, es wird nicht langweilig. Für uns aber ist es jedes Mal das schönste am Reisen Menschen aus aller Welt kennen zu lernen. Ob nun Einheimische oder Reisende aus anderen Ländern, Fakt ist, wir haben durch all das Reisen neue Freunde gewonnen.
Und sind sie es doch, welche seit so vielen Jahren unser Leben so positiv beeinflusst haben.
Nach einiger Zeit und etlichen lustigen sowie spannenden Geschichten, besprachen wir das vielleicht nächste gemeinsame Ziel. Wir erzählten ihnen von einem Dorf, von welchen wir erfahren hatten, dass es inmitten einer atemberaubenden Landschaft läge und dass man es nur per Boot erreichen könnte. Auch dass die Menschen dort anscheinend sehr zuvorkommend seien und überhaupt alles geradezu relaxend ablaufen soll.
Es klang jedenfalls sehr viel versprechend und da die Hälfte unserer neuen Reisegesellschaft ebenfalls schon von diesem Dorf gehört hatte, stand unser gemeinsames Ziel fest.
Noch am gleichen Tag brachen wir auf Richtung Westen, nach Muang Ngoi Neua. Zurück am Busbahnhof warteten bereits zwei dieser Jumbo Tuk-Tuk’s auf Passagiere. Große Busse gab es nicht, eben nur diese beiden Minitransporter mit einer kleinen Ladefläche, auf welcher jeweils zwei gepolsterte Holzbretter an den Seiten die Sitzmöglichkeiten bildeten. Für kurze Strecken sehr praktisch, aber bei Fahrten wie unserer von ungefähr vier Stunden, würde es dann doch mit der Zeit etwas unbequem werden, dachten wir.
Aber so ist es nun mal in Laos und eigentlich auch kein Problem für uns. Es war wieder sehr heiß an diesem Tag und man sah, wie sehr die Hitze allen zu schaffen machte. Auch Anne und ich tranken ständig Wasser oder wedelten uns irgendwie Luft zu.
Wir hatten uns gerade unsere Tickets an dieser kleinen Holzbude gekauft, als die beiden Fahrer begannen die Fahrgäste zu zählen. Ich sah wie sie miteinander tuschelten, sich nochmals umblickten, dann wieder ihre Köpfe zusammensteckten und sich daraufhin beistimmend zunickten. Mir war sofort klar dass sie nicht vorhatten alle Passagiere auf zwei Fahrzeuge zu verteilen, sondern die zwanzig Leute mit sämtlichem  Gepäck auf eine dieser Schleudern zu quetschen. Unvorstellbar, dachte ich und erzählte den anderen sofort, was ich vermutete. Alle bestätigten die Annahme und wir waren uns sofort einig, dass wir diese Quälerei nicht über uns ergehen lassen würden.
Auf dem ersten Tuk-Tuk saßen bereits Fahrgäste. Wir aber gingen stracks zum Zweiten, vorbei an den beiden Fahrern, schmissen dann förmlich unsere Rucksäcke in den Laderaum und stiegen hastig auf.
Sofort begann eine rege Diskussion mit den Fahrern, denn unsere Vermutung war richtig. Sie wollten wahrscheinlich Sprit sparen und versuchten nun vehement alle Reisenden in einem Fahrzeug zu verstauen. Es war unglaublich. Auf einem Gefährt wo es normaler Weise schon für zehn Personen deutlich zu eng ist, versuchten sie nun genau zwanzig unterzubringen. Wir schrieen ihnen aufgebracht entgegen, es gäbe keinen Weg uns dermaßen zusammen zu zwängen. Die Fahrer waren nun ärgerlich, da wir ihnen vermutlich die Hinterziehung einiger Fahrtkosten vermasselt hatten, aber wir blieben konsequent und laut.
Die beiden sahen dann deutlich, dass sie keine Chance hatten uns umzustimmen und aus heiterem Himmel gab es dann kein Problem mehr. Es war so als hätte die Diskussion nie stattgefunden. Die Leute wurden auf zehn pro Fahrzeug verteilt, wobei uns die Fahrer sogar zulächelten und wir fuhren los.
Viele Reisende sind der Meinung man müsse sich den Gegebenheiten der jeweiligen Länder ständig anpassen. So ist das halt dort, würden sie sagen, und wenn du dich dem nicht unterordnen kannst, musst du eben zu Hause bleiben.
Ich sage das ist Blödsinn. Man muss sich nicht alles gefallen lassen und schon gar nicht, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Und das war hier eindeutig der Fall. Denn bei solch einem Gequetschte, was in Asien keine Seltenheit ist, müssten die Fahrkartenverkäufer zusätzlich zum Ticket auch eine Thrombosespritze reichen. Diese könnte man sich dann, bevor man es sich auf der zwei Meter Holzbank mit zehn Leuten bequem macht, in den Bauch rammen. Damit wäre dann zumindest schonmal das Problem des Aderverschlusses gelöst. Was dann die verrückte und selbstmörderische Fahrweise der Asiaten betrifft müsste man vielleicht vor Ort klären. Es könnte sich zum Beispiel ein Backpacker in die Fahrkabine setzen und dem Fahrer dann regelmäßig einen Schubs am Kopf geben. Nicht nur bei überhöhter Geschwindigkeit, sonder auch sobald er ansetzt abermals ein waghalsiges Überholmanöver, auf einer Strecke von fünfzig Metern bei entgegenkommenden LKW und einem Abhang von fünfhundert Meter, zu vollstrecken.
Dieses ist nämlich keine Seltenheit und die Fahrer denken wahrscheinlich jedes Mal der andere wird schon ausweichen. Vierzehntausend Verkehrstote pro Jahr in Vietnam zum Beispiel zeigen, dass das entgegenkommende Fahrzeug dieses eben nicht immer tut. Unsere Fahrt endete zum Glück ohne besondere Vorkommnisse. Wir wurden zwar zwischenzeitlich nass, da es heftig zu regnen begann und der Fahrer erst nach einer ganzen Weile anhielt um die Seitenabdeckplanen als Schutz herunterzulassen, aber wir gelangten dennoch zu unserem Ziel.
Wir erreichten Nong Khiaw am Nam Ou Fluss nach vier Stunden und hatten sogar noch die Möglichkeit ein Boot flussaufwärts nach Muang Ngoi Neua zu ergattern. Die Fahrt führte uns bereits entlang einer atemberaubenden Landschaft mit riesigen von Bäumen bedeckten Bergen, soweit das Auge reichte.
Wir sahen Büffel, welche sich zur Abkühlung in den Fluss gelegt hatten und nur noch ihre gewaltigen Köpfe aus dem Wasser reckten. Auch einige Frauen und Kinder, wie sie große Wasserbehälter vom Fluss bergaufwärts in den Dschungel trugen. Vermutlich zu ihren abgelegen Dörfern. Am auffälligsten waren jedoch die unzähligen Schmetterlinge, welche sich in Massen am Flussufer sammelten und jedes Mal aufschreckten, sobald das Boot vorbeifuhr. Ein fantastischer Anblick und es sah aus als wurde ein großer Baum plötzlich seine gesamten Blätter verlieren. Wir  waren froh hierher gekommen zu sein und nickten uns anerkennend zu. Unsere Entscheidung war richtig und wir konnten bereits erahnen, dass uns hier etwas ganz Besonderes erwarten würde.
Eine Stunde verging und wir erreichten unser Dorf Muang Ngoi Neua, auch genannt das Dorf des Lächelns.
Es zerbrach uns die Herzen als wir merkten, dass wir nicht genügend Stifte mitgebracht hatten. Warum hatten wir nicht mehr gekauft, fragten wir uns. Die Hefte reichten aus, aber eben die Stifte nicht. Wie traurig, es war jedoch zu spät lange darüber nachzudenken, denn so oder so würden einige Kinder leer ausgehen.
Wir befanden uns zu jenem Zeitpunkt in einer Schule eines Khamu Dorfes, circa zehn Kilometer flussaufwärts von Muang Ngoi Neua.
Die Khamu sind eine der vielen Minderheiten in Laos, leben hauptsächlich im Norden und meistens in den Bergen fernab jeglicher Zivilisation. Deshalb war auch dieses Dorf in keiner unserer Karten zu finden und wir waren somit umso glücklicher es besuchen zu können. Wir hatten uns mit unserer Gruppe von Backpackern zusammengetan und uns ein Boot gechartert. Der Kapitän hieß Khao und dank ihm waren wir in dieses Dorf gelangt.
Khao war der Sohn unserer Hostelbesitzerin und wir lernten ihn noch am gleichen Tag unserer Ankunft in Muang Ngoi Neua kennen. Er war Anfang zwanzig und sein Englisch war wirklich sehr gut. So blieb es nicht aus, dass wir schon am ersten Abend in eine Unterhaltung verfielen. Er wurde in Muang Ngoi Neua geboren, wie er uns berichtete, und hatte die Gegend eigentlich nie wirklich verlassen, was ihm bei dem Anblick dieser sagenhaften Umgebung wohl kaum zu verdenken war.
Es war jedenfalls interessant ihm zuzuhören und nach einer Weile nutzten Anne und ich die Gelegenheit, ihn nach einer Schule zu befragen, bei welcher wir vielleicht unser Paket mit den Heften und Stiften abgeben könnten. Er fand es höchst ungewöhnlich und konnte es gar nicht glauben, dass wir die Sachen schon seit fast zwei Wochen mit uns rumschleppten ohne eigentlich zu wissen, wo wir sie je abgeben würden. Deshalb musste er etwas über uns lachen, was wir wiederum komisch fanden. Schließlich aber erzählte er uns von der Schule in dem Khamu Dorf.
Die Bewohner dort seien sehr arm und somit sind natürlich nie genügend Schulsachen vorhanden, erzählte Khao. Sie seien dort zwar nicht völlig abgeschottet von der Zivilisation, dennoch wären die Geschenke in dieser Schule besser aufgehoben als in der von Muang Ngoi Neua. Für uns war das Aussage genug und freuten uns bereits auf den Ausflug dorthin.
Es gäbe jedoch ein Problem. Es sind Ferien in dieser gesamten Region und darum ist es wohl möglich, dass wir niemanden in der Schule vorfinden würden, sagte er uns. Na was für ein Pech, dachten wir. Nur zwei Tage früher und wir hätten die ganze Kinderschar erwischen können. Anne und ich waren enttäuscht, mussten wir auch ausgerechnet in der Ferienzeit hier aufzukreuzen. Aber woher sollten wir das auch ahnen.
Wir sollten dennoch fahren, sagte Khao hingegen. Er würde schon dafür sorgen, dass wir jemanden antreffen werden. Wir waren uns nicht sicher ob wir die stundenlange Fahrt mit dem Boot auf uns nehmen sollten, ohne genau zu wissen ob wir überhaupt die Sachen abgeben könnten. Kurz oder lang entschieden wir uns dennoch für die Tour und Khao hielt was er versprach.
Er hatte die Lehrerin und ihre Klasse zusammengebracht. Wie er das aber so schnell geschafft hatte, ist uns bis heute ein Rätsel. Denn wir standen bereits kurz nach der Ankunft im Dorf im Schulraum vor ungefähr vierzig Kindern. Was für ein Spektakel.
So viele Kinder hatten wir nicht erwartet. Es war laut und alle waren sehr aufgebracht während sie ihre Plätze einnahmen. Dann stellten wir uns allen vor, was Khao zu unserem Dank übersetzte. Auch sie begrüßten uns herzlich, mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Uns wurde jedoch schnell wieder klar, dass wir nicht genügend Stifte dabei hatten. Es war frustrierend, denn wie sollten wir die Dinger verteilen, ohne am Ende in ein trauriges Kindergesicht blicken zu müssen. Sollten wir es einfach darauf ankommen lassen? Einfach vorne beginnen, durch die Bankreihen schreiten und den lachenden Kindern einen Stift schenken, solange der Vorrat reicht? Und sobald er aufgebraucht war, dem nächsten Kind sagen: „Oh sorry, but you don’t get one!“ Nein, so konnten wir das nicht.
Aber Anne kam, zu unserer Rettung, mit einer Idee und so machten wir uns daran erst einmal die Schreibhefte zu verteilen. Dabei faltete jedes Kind seine Hände vor dem Gesicht um sich zusätzlich mit einem Kopfnicken bei uns zu bedanken. Es war so einnehmend.
Da waren sie, barfuss und ungewaschen, und einige von ihnen mit nichts weiter bekleidet als mit einem viel zu großen, verschlissenem T-Shirt. Auch gab es keinen Strom und die Kinder saßen zum Teil zu viert an den alten Holzbänken in ihrem Klassenraum.
Es war ein ergreifender Anblick. Dennoch freuten sie sich spürbar über dieses einfache und billige, ja gar langweilige Schreibheft. Was würde ein Kind in Deutschland wohl sagen, dachte ich, wenn man ihm ein Heft vor die Nase legte, wo nicht einmal eine Comicfigur darauf abgebildet wäre, sondern einfach nur dieses einfarbige, dünnblättrige Heftchen, wodurch es noch zum Mitschreiben verdonnert werden sollte. Ich glaube viel Freude wäre da nicht zu sehen.
Hier aber war es anders. Wir hatten das Gefühl etwas zu tun, was die Kinder noch nie zuvor erlebt hatten: wir als Ausländer brachten Geschenke, einfach so. Nicht viel vielleicht, aber immerhin wurde ihnen dadurch gezeigt, dass die Anwesenheit in der Schule auch von anderen Menschen wahrgenommen wird.
Die Lehrerin stand hinter ihrem Lehrertisch und beobachtete die Heftvergabe mit einem Lächeln. Sie hatte ihr kleines Baby in ein Tuch gewickelt, was um ihren Körper gebunden war. Ich fragte mich, ob es anstrengend sei, zu unterrichten und gleichzeitig auf ein so winziges Geschöpf aufzupassen. Aber es war wohl nichts Ungewöhnliches.
Wir hatten jedenfalls auch ihr einige Geschenke mitgebracht. Da waren zum einen ein englisch, laotisches Wörterbuch und zum anderen verschiedene Lehrbücher für ihren Englischunterricht. Sie war etwas verlegen, freute sich über die Mitbringsel aber sehr. Sie freute sich wahrscheinlich so sehr, dass sie sofort damit begann, ihr Baby zu stillen. Nun war ich völlig irritiert, waren wir doch gerade in eine Unterhaltung mit ihr vertieft. Aber da stand sie und das Baby saugte dermaßen gierig, als hier gerade einen Werbespot für das schnellste Babymilchtrinken der Welt gedreht wurde.
Anne drehte sich weg und nahm sich die Stiftpackungen aus dem Karton, ich aber hatte mich festgeguckt. So etwas ist ja auch nicht alltäglich, dass sich die Lehrerin vor versammelter Klasse die Brust aus der Bluse zieht. In Deutschland gehen Lehrer dafür ins Gefängnis, was, wenn ich da so an einige meiner Lehrerinnen denke, auch die absolut gerechtfertigste Strafe wäre.
Nach dieser Überlegung löste ich dann meinen Blick und widmete mich wieder langsam meiner Kamera, überlegte allerdings noch kurz, ob ich diese Sache mit festhalten sollte. Ich glaube jedoch, dass wäre etwas zuviel des Guten gewesen. Ein paar Leute aus unserer Gruppe gesellten sich zu uns, während Anne gerade begonnen hatte, die Stifte zu verteilen. Sie veranstaltete dabei mit den Kindern ein kleines Wissensspiel. Sie ließ das englische Alphabet aufsagen und die jeweiligen Buchstaben an die Tafel schreiben. Es machte allen viel Spaß und wir alle konnten gar nicht glauben, wie aufgeschlossen einige Kinder doch waren. Alle gaben sich Mühe, meldeten sich mit Freude und schrieen ihr Wissen lauthals in den Raum. Dann forderte Anne ein Kind auf nach vorne zu kommen und den vorher gesagten Buchstaben an die Tafel schreiben. Wurde dieser richtig geschrieben, gab es einen Stift als Belohnung.
Es änderte zwar nichts an der Tatsache von zu wenigen Kugelschreibern, aber zumindest konnten wir den Kindern zeigen, dass gutes Lernen belohnt werden würde.
So arbeitete sich Anne durch das Alphabet. Und während ich das Geschehen filmte, fragte ich mich, ob ich Anne von dem Plakat an der Wand erzählen sollte. Auf diesem war nämlich das englische Alphabet in großen Druckbuchstaben abgebildet und es versammelte sich bereits eine kleine Gruppe von Kindern davor, um den nächst richtigen Buchstaben abzuschummeln. Anne bemerkte es allerdings nicht und war umso überraschter, dass die Kinder die Buchstaben so einwandfrei beherrschten.
Ich aber freute mich einfach über dieses gesamte Schauspiel, vor allem aber über die vielen lachenden Kinder. Alle hatten Spaß und nach einer Weile hatte Anne somit auch den letzen Stift abgegeben.
Was dann geschah, hatten wir nicht erwartet. Die Kinder stellten sich hinter ihren Bänken auf und begannen gemeinsam sich laut bei uns zu bedanken, indem sie abermals ihre Hände vor den Gesichtern falteten und dabei mit ihren Köpfen nickten. Es war ein angenehmes Gefühl, ein Gefühl etwas wirklich Gutes getan zu haben und wir konnten nicht glauben, dass ein Heft und ein Stift einem Kind so viel Freude bereiten kann.
Wir gingen danach durch das Dorf. Entlang der einzigen Sandstrasse, die sich breit durch das Dorf wand und an der sich links und rechts einfache Holzhütten zeigten. Auch diese wurden auf Stützen gebaut, ließen jedoch keine wirkliche Ordnung zeigen. Sie wirkten eher wie dahingestellt. Vor ihnen hingen meist handgefertigte Tücher und Decken, die von einigen Bewohnern feilgeboten wurden. Wir lehnten alle dankend ab, was sie aber keineswegs missbilligten. Ganz im Gegenteil, die Einheimischen grüssten uns freundlich und lächelten uns dabei zu. Eine Frau bot uns sogar an, uns einmal ihren Webstuhl vorzuführen. Ich weiß nicht ob sie es tat, um uns doch noch irgendwelche Stoffe anzubieten, oder ob sie einfach nur nett war, wir genossen trotzdem diese interessante Vorführung.
Dann machten wir uns wieder auf den Rückweg nach Muang Ngoi Neua. Die Bootsfahrt führte uns erneut durch eine atemberaubende Landschaft. Berge ragten steil in die Höhe und waren vollkommen vom Urwald eingebettet. Unberührte Natur und der Nam Ou Fluss schlängelte sich mühelos in ihr hindurch.
Es war Essenszeit und Khao und seine Helfer beschlossen Fische zu fangen. Dabei wurde ein langes Netz zu einem Halbkreis gespannt, was sich als überaus aufwändig herausstellte. Der Grund des Flusses war nämlich vollkommen mit Steinen bedeckt, was ein langsames Gehen durchs Wasser unmöglich machte. Man war demnach gezwungen das Netz schwimmend zu ziehen, die zum Teil reißende Strömung jedoch, machte auch dieses Vorhaben sehr kompliziert.
Khao bot mir an ihm zu helfen, was ich natürlich nicht ablehnen konnte. Das Wasser war zwar ziemlich dreckig, aber dennoch machte es Spaß. Und da unser Einsatz sogar noch mit einem ausreichenden Fang belohnt wurde, war das kleine Abenteuer inmitten dieser großartigen Szenerie perfekt.
Die Fische wurden dann auf dem Feuer zubereitet. Dazu gab es Reis und Flussgras. Ein einfaches aber doch sehr köstliches Mahl.
Am frühen Abend erreichten wir unser Hostel in Muang Ngoi Neua.
Big Mama, so nannten wir unsere Hostelbesitzerin, also die Mutter von Khao, begrüßte uns als wir den Hof betraten. Sie war gewaltig und bestimmt zwei Köpfe größer als ich. Sie musste lachen, als sie Ash, den Australier, und mich sah. Denn wir hatten uns derbe den Körper verbrannt. Wir waren nämlich so clever gewesen und hatten während der Bootsfahrt unser Shirt ausgezogen. Die heftige Sonne spürten wir durch den Fahrtwind nicht und anziehen konnten wir daraufhin unsere Shirts natürlich nicht mehr, was Big Mama wie gesagt laut lachen ließ.
Es war frustrierend, denn uns war bestens bewusst, dass wir die kommende Nacht wegen der Schmerzen nicht schlafen würden. Und nun wurden wir auch noch ausgelacht, aber sagen konnte man dagegen nichts, denn verärgern wollte man Big Mama keineswegs. Sie war zwar freundlich, strahlte aber eine gewisse Gefährlichkeit aus. Ich konnte mir vorstellen, sie fackelt nicht lange und eine Schelle von ihr würde wahrscheinlich reichen, um unser kommendes Schlafproblem zu lösen. Also nahmen wir ihr Lachen hin wie Männer und gingen schweigend zu unseren Zimmern.
Eine Dusche gab es nicht. Da waren zwar Armaturen in den Badezimmern vorhanden, funktionieren taten sie jedoch nicht. Wir waren deshalb mehrmals zu Big Mama gegangen, um vorsichtig anzufragen, ob die Duschen demnächst wieder gehen würden, aber ihre Antwort war immer dieselbe: „Tomollow!“ Na das ist ja gut dann, dachten wir, bekamen aber wenigstens einen Schlüssel für das Familienwaschhaus um die Ecke. So konnten wir uns dann zumindest morgens waschen und mit Wassereimern übergießen.
Den Ventilator konnten wir zur Abkühlung auch nicht benutzen, denn Strom hatten wir die meiste Zeit nicht. Nur zwischen 19.00 und 21.00 Uhr wurde der Generator eingeschaltet. Dann begann meistens eine wilde Diskussion über die wenigen Steckdosen, um wenigstens für die verbleibenden zwei Stunden seine Akkus für Kamera und Laptop aufzuladen.
Irgendwie bekamen wir diesen Umstand aber gut in den Griff und vermissen tat man den Strom nach ein paar Tagen nicht wirklich. Nur an diesem Abend wäre es zumindest für Ashley und mich relevant gewesen, aber zu unserem Glück hatte Matt noch etwas After Sun Lotion, mit der wir uns wenigstens etwas Kühlung verschaffen konnten.
So sah es aus, unser Leben hier im Hostel. Keiner traute sich etwas zu Big Mama zu sagen und unser einziges Licht war, abgesehen von den zwei Stunden Strom, Kerzenschein.
An diesem Abend kam dann eine Einladung zum Essen. Unsere Nachbarinnen, alle drei aus Frankreich stammend, wohnten hier schon eine ganze Weile. Angeblich waren sie Studentinnen und verbrachten hier ein halbes Semester um irgendwelche Agrarmethoden zu erforschen. Das klang auf jeden Fall interessant und ich freute mich bereits darauf, etwas mehr darüber zu erfahren.
Sie hätten eine Ente und einige Biere auf dem Markt gekauft, wie sie uns sagten, und wollten nun am Abend ihren Abschied von hier feiern und dazu seien auch wir herzlichst eingeladen. Wir alle ließen uns das nicht zweimal sagen und nahmen die Einladung an.
Die Abschiedsparty fand auf dem Hof von Big Mama statt. Sie hatten einen langen Tisch auf eine überdachte Holzplattform gestellt. Die drei Mädels saßen bereits am Tisch, zusammen mit fünf Einwohnern. Ein älterer Mann mit Frau und drei junge Typen, von denen der erste sich gerade eine Zigarette drehte, der zweite auf seiner Gitarre klimperte und der dritte einen erschreckenden Gesichtsausschlag hatte. Es sah furchtbar aus, denn beinah sein komplettes Gesicht war mit winzigen Pickeln übersäht und seine Augen waren dadurch dermaßen geschwollen, dass er sie kaum noch öffnen konnte und es aussah, als hätte er eine Skibrille auf. Eher eine bunte Skibrille, denn sein Gesicht nahm bereits verschiedene Farben an. Aber in Laos schneit es nicht, das war klar.
Khao erzählte uns, dass es vom verunreinigten Wasser her stammte. Das wunderte uns nicht, denn die Laoten hier benutzen den Fluss für wirklich alles was im Alltag so anfällt. Egal ob zum Wäsche waschen, zur eigenen Reinigung oder zum reparieren der Bootsmotoren. Alles wird im oder auf dem Fluss erledigt. Sämtliches Abwasser fließt somit ungefiltert zurück in den Fluss, was im Endeffekt erkennbare Spuren hinterlässt. Kleine Öl- oder Benzinteppiche, die durch die reflektierende Sonne schon von Weitem sichtbar sind, dann haufenweise Abfälle jeglicher Art und zum Teil stinkender Schlamm an den Ufern zeigen die simple Reaktion der Natur auf ein rücksichtsloses Verhalten der Menschen.
Aber es schien als bezahlten die Einwohner nun ebenfalls den Preis ihres Umgangs mit der Heimat, denn wie Khao uns weiterhin erzählte, nahm die Zahl dieser derben Hautreaktionen dramatisch zu und immer mehr Menschen hier klagen über verschiedene Hautkrankheiten.
Wem aber nimmt man es übel, haben diese Menschen doch keine ausreichende Bildung, kein Müllsystem oder gar Kläranlagen. Ein unsagbar schwieriges Thema und mir wurde erneut bewusst, wie wichtig und unausweichlich die Lehrarbeit von Phosit, dem Mönch und Lehrer aus Vang Vieng, doch war. Er tat alles in seiner Macht stehende, um den Kindern vor Ort beizubringen, wie achtlos entsorgter Müll auf die Natur wirkt. Er brachte ihnen schon von klein auf bei, dass zum Beispiel Zellstoffpapier nur wenige Wochen benötigte, um sich aufzulösen, dass Plastik dagegen aber mindestens fünfhundert Jahre dafür braucht.
So hatte er es uns damals erzählt und meiner Meinung nach ist Bildung der erste Schritt zur Besserung, denn Laos ist im Vergleich zu anderen Ländern in Asien noch sauber.
Wir setzten uns zur kleinen Runde an den Tisch, auf welchem bereits ein Glas und ein Aschenbecher standen. Das Glas wurde aus laotischer Tradition dazu benutzt gemeinsam Bier zu trinken. Na das war etwas für uns, dachten wir, alle aus einem Glas. Es wurden dabei ungefähr vier Zentiliter in das Glas gekippt, von einer Person getrunken und das leere Glas der nächsten Person gereicht um erneut einen kleinen Schluck Bier zu trinken.
Die drei Studentinnen erklärten uns, dass dieses so Sitte hier sei. Das war jedenfalls neu für uns und wir alle blickten uns etwas unbefriedigt an. Immerhin waren wir zu neunt, dazu die drei Mädels und die fünf Laoten. Dann kam noch Big Mama, die im Augenblick gerade die Ente zubereitete. Aber wenn es so Brauch ist, passen wir uns selbstverständlich an und trinken gemeinsam mit achtzehn Personen aus einem Glas, sagten wir.
Einigen von uns wurde allerdings etwas mulmig bei dem Gedanken der Hygiene. Dazu kam auch, dass wir Big Mama zuvor beobachtet hatten, wie sie die Ente in einer der Schlammpfützen am Fluss wusch. Anne flüsterte mir daraufhin zu, dass ihr etwas unwohl sei und sie wahrscheinlich nichts essen oder trinken möchte. Für mich war das verständlich, ich hatte aber selber zu großen Hunger um das Essen abzulehnen.
Das Glas kam dann das erste Mal zu mir. Endlich, dachte ich noch, und begann mir einen speichelfreien Platz am Rand des Glases zu suchen. Den gab es aber nicht mehr, hatten ja auch schon acht Personen vor mir davon getrunken. Deshalb versuchte ich mir den Schluck Bier in den Rachen zu schütten, ohne das meine Lippen mit den Spuckepartien der anderen in Berührung kamen. Ich öffnete dabei meinen Mund leicht, hielt meine Lippen in Spitzform Richtung Glasöffnung und goss drauflos. Die Hälfte von den vier cl kippte ich mir allerdings übers Kinn. Wie peinlich, dachte ich, war aber froh, dass mich keiner dabei gesehen hatte, ärgerte mich aber dennoch. Da gab es nur so’n Schlückchen und selbst davon knallte ich mir die Hälfte noch ins Gesicht. Ich nahm mir vor es nächste Runde besser zu machen.
Die Ente wurde aufgetischt. Sie war in kleine Stücke zerlegt und diese waren offensichtlich sehr lange auf dem Grill zubereitet worden, denn sie waren schwarz wie Kohle. Vermutlich wollte Big Mama auf Nummer sicher gehen und alle Bakterien restlos vernichten, was ihr bei der Betrachtung des Entenkleins wahrscheinlich auch gelungen war. Des Weiteren gab es Nudeln, die in einer großen Schale serviert wurden und auch einen Gemüsetopf. Was da alles drin enthalten war, konnte ich nicht erkennen. Es war aber lecker.
Ein Teller mit Blut wurde zu unserer Überraschung ebenfalls auf den Tisch gestellt. Es war das Entenblut und wurde als Dessertsuppe verabreicht. Wie oder von wem es gegessen wurde, kann ich nicht sagen, denn ich ersparte mir jeden weiteren Blick dahin. Annes Gesichtsfarbe veränderte sich dadurch drastisch. Sie hatte bereits bei der Biertrinkprozedur ein unwohles Gesicht gemacht, da auch sie das Glas genau betrachtet und es ohne Überlegung an mich weitergereicht hatte. Aber so war nun mal der Brauch, hieß es.
Von der Ente wurde wirklich alles verarbeitet. Jeder noch so kleiner Körperteil fand seinen Platz auf dem Grill und so nagten wir uns unseren Weg durch das verkohlte Fleisch von den Füssen bis zum Schädel.
Ich hatte meine Portion schon lange beendet und der Typ mit der Gitarre hämmerte gerade auf diese ein und krächzte dazu einen englischen Popsong, als mich das Glas zum zweiten Mal erreichte. Man war ich froh, hatte ich doch schon tierischen Durst vom Essen. Deshalb ging es dieses Mal sehr schnell und meine Aktion war für das normal sterbliche Auge, also auch für alle am Tisch, nicht sichtbar. Glas in die Hand, Mund weit aufgerissen und das Bier aus circa zehn Zentimetern hineingeschüttet. Das war schnell und meine Lippen hatten den Glasrand nicht berührt. Ich freute mich dann aber bereits auf die dritte Runde, die mich wahrscheinlich so in zwanzig Minuten erreichen würde.
Aber ich hatte nicht so viel Glück, denn der Abend wurde für uns Neune vorzeitig beendet. Die drei Studentinnen forderten uns nämlich auf für diesen Abend zu spenden. Zwanzigtausend Kip wurden von uns pro Person abverlangt. Na das verschlug uns die Sprache.
Es ging dabei nicht um den Geldbetrag, denn dieser war umgerechnet nur etwas über zwei Euro wert, nein, es ging ganz eindeutig um das Prinzip. Ich kann nicht Leute zum Essen „einladen“ und sie dann dafür am Ende bezahlen lassen. So etwas tut man nicht. Entweder sagt man es vorab, oder man hält sich an den Grundsatz einer Einladung. Dass jedoch auch noch das Wort Spende dabei benutzt wurde, machte die Sache nicht angenehmer, denn wir waren alle der Meinung bei einer Spende selber den Betrag festlegen zu können. Von den Agrarforschern wurde uns die Summe allerdings von vornherein auferlegt. Das war keine schöne Art und somit war der Abend für uns an diesem Tisch beendet.
Wir bezahlten das Geld, verabschiedeten uns von allen und verließen den Tisch. Vielleicht bezahlten wir aus Angst vor Big Mama aber wahrscheinlicher war wohl das Ausweichen einer unsinnigen Konfrontation unsererseits.
Wie dem auch sei, nur einen Tag später machten wir uns gemeinsam auf nach Luang Prabang.
Wir sind zwar bereits dort gewesen, aber unsere Zeit hier in Laos ging langsam dem Ende zu. Deshalb war es für uns nur logisch langsam den Weg Richtung Grenze nach Thailand einzuschlagen. Das schöne dabei, auch die anderen der Gruppe wollten nach Luang Prabang. So kam es auch, und nach nur zwölf Stunden auf dem Boot und in zwei verschiedenen Bussen erreichten wir diese Touristenhochburg erneut.
Wir hatten alles in allem nicht mehr viele Tage vor uns, aber das mir ausgerechnet am Ende noch ein Malheur passiert war wieder typisch.
Ich konnte auf einmal nichts mehr hören.
Dicker hätte der Brocken auch nicht sein können, der da aus meinem Ohr geflossen kam.
Die Ärztin hatte gerade einen halben Liter Wasser mit einer dicken Spritze in meinen Gehörgang gejagt, wodurch der Klumpen in Bewegung geriet, sich von meinem Trommelfell löste und nun in die kleine weiße Schale plumpste, die von der Krankenschwester an meine rechte Gesichtshälfte gedrückt wurde. Die Schwester machte einen erstaunten und irgendwie bewundernswerten Laut, als der Dreckbatzen in das Schälchen fiel. Sie hatte so etwas wahrscheinlich noch nie gesehen und rief darauf hin, eine zweite Krankenschwester dazu. Diese pfiff ihre Überraschung dann steif heraus, was mich wiederum in bodenlose Peinlichkeit verfallen ließ.
Ich konnte es nicht glauben, dass das der Grund für meine Taubheit gewesen ist und dafür sorgte, dass ich tatsächlich kaum noch etwas hören konnte. Dreck, auch bekannt als Ohrenschmalz, hatte mein Gehör ohne Rücksicht lahm gelegt.
Ein paar Tage zuvor begann bereits das Spiel mit der Taubheit. Wir sind mit unserer Gruppe von Backpackern bei dem berühmten Wasserfall gewesen, um bei diesen unerträglichen Temperaturen wenigstens noch ein bisschen Abkühlung zu genießen. Und während eines Tauchgangs, bei dem ich den Grund des kleinen aber teilweise tiefen Teiches so ganz ohne Atemgerät erreichen wollte, machte es dann „klack“ in meinen Ohren. Wahrscheinlich führte ich den Druckausgleich nicht vorschriftsmäßig aus, oder meine Ohren sind einfach nur merkwürdig, aber wie auch immer es geschah, ich konnte auf einmal nichts mehr hören.
So saß ich nun völlig deprimiert auf dem Behandlungsstuhl, im Krankenhaus von Luang Prabang, und ließ mir meine Ohren waschen. Es war mir peinlich als so dreckig zu erscheinen. Ob sie denken ich wasche meine Ohren nicht, fragte ich mich noch, als die Ärztin und die beiden Schwestern sich an meiner linken Seite zu schaffen machten. Ich hoffte das nicht, denn so war es keinesfalls. Reinlichkeit ist während des Reisens immer ein sehr wichtiger Faktor für uns, und zu der Körperpflege gehört ja nun einmal auch das Säubern der Ohren.
Aber es sah nicht wirklich reinlich aus, denn in diesem Moment spülten sie gerade eine weitere Ladung Dreck aus meinem linken Lauscher. Zwei weitere Schwestern kamen hinzu und es war unausweichlich mich erneut in Grund und Boden zu schämen.
In gewisser Hinsicht aber empfand ich auch eine bestimmte Ironie. Ich meine da befanden wir uns in einem Land in dem eine warme Dusche als absoluter Luxus gilt, in dem eine Müllentsorgung einer Stadt erst existiert, wenn die Einwohnerzahl dreißigtausend übersteigt, in einem Land in dem ein Wort wie „Recycling“ eher als exotische Frucht übersetzt wird und Menschen Gesichtsausschlag bekommen, weil sie sich im eigenen Fluss gewaschen hatten. Und ich saß da im Stuhl und schämte mich für meine Ohren.
Aber so war es nun mal und ändern konnte ich es eh nicht.Nach einer weiteren Spülung war dann auch mein linker Gehörgang endlich frei und ich verstand wieder jedes Wort. Welch ein befreiendes Gefühl.
Nachdem die nun fünf Medizinerinnen den Inhalt des Schälchens erneut staunend betrachtet hatten, wobei sie abermals bewundernde Laute machten, verabschiedeten wir uns, bezahlten noch die zwanzig Dollar an der Kasse des Krankenhauses, denn das war die Gebühr für meine Reinigung, und fuhren zurück zu unserem Hostel im Stadtzentrum, in welchem die anderen aus unserer kleinen Reisegruppe bereits auf uns warteten.
Man konnte spüren, dass allen aus unserer Gruppe die Zeit davonlief. Fast jeden Abend sprachen wir darüber, was jeder Einzelne von uns in Laos noch alles sehen möchte. Sahar, die Iranerin zum Beispiel, wollte bereits weiter nach Kambodscha. Sam, die Australierin, Tom aus der tschechischen Republik und Shawn aus Südafrika wollten dagegen weiter in den Süden Laos‘, und Ashley von Tasmanien, Matt, der Österreicher und Ophilie, die Französin wollten mit uns in den nächsten Tagen nach Vang Vieng.
So war es nun mal, man lernt andere Backpacker kennen, verbringt gegebenenfalls eine entsprechende Zeit miteinander und am Ende kommt der Abschied. Und so schwer dieser manchmal auch sein mag, vielleicht sieht man sich ja doch noch einmal wieder im Leben.
Wir verbrachten demnach noch etwas Zeit zusammen, wobei wir mehrmals den Markt besuchten, erneut am Wasserfall badeten, dann zum Aussichtspunkt hinauf stiegen, von welchem aus man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt bekommen konnte und zusammen wieder in den billigsten Restaurants aßen, welche jedes Mal ein Abenteuer für sich darstellten.
Es war noch eine schöne Zeit in Luang Prabang, und zwei Tage später waren wir erneut in Vang Vieng, aber eben nur noch zu fünft. Anne und ich mussten dorthin zurück, da Vang Vieng ein guter Ausgangspunkt ist, um nach Bangkok zu gelangen. Die Busse fuhren nämlich beinahe den gesamten Weg durch, stoppten zwar an der Grenze und vielleicht wechselte man auch noch einmal das Gefährt, aber die Tickets dafür waren bei den Massen an Touranbietern in Vang Vieng sehr einfach zu buchen.
Und genau das taten wir, denn unsere Zeit in Laos war vorüber. Zwei Monate waren wir bereits in diesem fantastischen Land, hatten wertvolles Filmmaterial gesammelt und entschieden uns daher den nächsten und somit letzten Schritt Richtung Thailand zu machen.
Wir hatten uns sogar schon etwas eingelebt, obwohl wir ständig unterwegs gewesen sind und die Orte doch eher schneller wechselten, als uns eigentlich lieb war. Aber nichtsdestotrotz kamen wir bereits ganz gut mit einigen Gegebenheiten der Laoten zurecht. Ohne Zweifel waren wir nur als normale Touristen im Land unterwegs und auch sprechen wir kein Laotisch, dennoch haben es die wenigen Bekanntschaften auf unserem Weg geschafft, uns dieses Land zumindest ein kleines Bisschen näher zu bringen. Sicherlich hatten wir so manche Dinge entdeckt die uns missfielen, aber dennoch strahlte Laos eine Ruhe und Schönheit aus, wie wir sie noch in keinem Land Asiens zuvor entdecken konnten. Jedenfalls nicht in diesem Maße.
Und egal was manche Menschen auch sagen, manchmal reicht eben schon ein Augenzwinkern um ein Land lieben zu lernen.
Die Freundlichkeit der Laoten wird mir fehlen, sagte Anne, wobei sie sogar ein betrübtes Gesicht machte. Sie stieg gerade in den Bus, der uns innerhalb der nächsten zwölf Stunden nun nach Bangkok bringen würde. Unsere Reise durch Laos war somit vorbei und wir konnten uns gar nicht vorstellen, wie schnell diese neun Wochen verstrichen waren.
Ich könnte nun vor mich hin schwafeln, wie fantastisch und einnehmend dieses Land doch sei, oder dass unser Trip uns wieder einmal die Augen geöffnet hatte, und das wir die Welt jetzt mit anderen Augen betrachten, aber das wäre zuviel des Guten und wohl auch übertrieben. Alles was ich daher über Laos sage möchte ist, dass es ein sehr angenehmes Land zum Reisen ist. Das die Menschen hier, sobald man freundlich auf sie zugeht, unbeschreiblich höflich sind. Auch ist es sehr günstig und schon mit einem geringen Aufwand kann man so manches Mal sogar etwas Luxus bekommen. Mit anderen Worten, Laos ist cool und absolut empfehlenswert und wir werden dieses Binnenland sehr vermissen.

Wir erreichten Bangkok zwei Stunden früher als erwartet. Das lag wahrscheinlich daran, dass wir nicht in einem großen VIP Bus fuhren, wie wir es gebucht hatten, sondern an der Grenze zu Thailand unerwartet in einen kleinen Minivan verfrachtet wurden. Dieser war jedoch deutlich schneller und so kam es, dass wir bereits morgens um fünf Uhr mit unserem Gepäck über die Khao San Road liefen.
Wir waren also zurück, zurück in Bangkok. Dem Herzen Asiens und Anlaufspunkt von wahrscheinlich jedem Backpacker, welcher eine gewisse Zeit durch Asien ziehen möchte. Wir waren froh wieder hier zu sein, denn mittlerweile haben wir Bangkok wirklich lieben gelernt. Und das, obwohl wir diese Metropole vor einigen Jahren nicht ausstehen konnten.
Aber diese Zeit war vorüber, denn wir kommen inzwischen ziemlich gut zu Recht in dieser hektischen und verwirrenden Stadt.
Wir gingen zurück in unser altbekanntes Hostel. Die Rezeption ist dort rund um die Uhr besetzt und somit war es kein Problem zu dieser frühen Stunde noch ein Zimmer zu bekommen.
Die Frau am Empfang füllte die nötigen Papiere aus und erzählte uns dabei von der Situation im Zentrum der Stadt. Die Rothemden hatten sich erbitterte Schlachten mit den Regierungsanhängern geliefert und am Ende aber eine Niederlage erlitten. Viele Menschen seien dabei umgekommen und so manche Gebäude in Flammen aufgegangen. Aber die Unruhen seien nun vorüber, wie sie uns erzählte, und somit war auch der Flughafen wieder in Betrieb. Dieser wurde viele Tage von den Gegnern der Regierung besetzt und kein Flieger hatte die Piste verlassen können. Aber auch das war nun Geschichte und wir brauchten uns wenigstens keine Sorgen mehr machen, unseren Flug nach hause nicht antreten zu können. Dennoch tat mir die Niederlage der Rothemden irgendwie Leid, aber eine wirkliche Erklärung habe ich dafür nicht.
Noch am selben Nachmittag schlenderten wir über die Khao San Road. Sie ist wahrscheinlich die bekannteste Strasse Asiens und jeder Backpacker kommt früher oder später hier durch. Hunderte von Verkaufsständen, Restaurants und wahrscheinlich tausende von Menschen täglich, zeugen normaler Weise von einem regen Geschäft. Denn zu jener Zeit waren die Auswirkungen des Tumultes deutlich zu spüren. Tausende von Rucksackreisenden blieben aus und die Menschen hier hatten ernsthaft um ihr tägliches Brot zu kämpfen. Für uns war dieser Zustand jedoch sehr angenehm. Es war nun möglich auch einmal ohne ständiges Gedrängel dort entlang zu spazieren und zum Weiteren waren die Preise klar gesunken. Aber all das würde sich bald wieder ändern. Das war Fakt.
Wir kamen an einem Stand vorbei, an welchem man sich unter anderem internationale Studentenausweise anfertigen lassen kann. Selbstverständlich nur als Souvenir, denn die Benutzung wäre ja illegal. Die Thailänder haben in der Khao San Road jedenfalls viele solcher kleinen Verkaufsstände. Sie stellen dazu einige Tafeln auf und auf diesen findet man dann die verschiedensten Musterbeispiele. Wir jedenfalls hatten uns in der ersten Woche solch einen Ausweis an genau diesem Stand anfertigen lassen, brachten dazu extra zwei Passbilder mit, ließen diese von den Machern einscannen und aufdrucken und im Endeffekt kosteten sie drei Euro das Stück. All das natürlich nur als Souvenir, wollten wir doch immer schon einmal einen Studentenausweis als Andenken haben.
„Sag mal bist du das?“, sagte Anne plötzlich und deutete dabei auf einen der Studentenausweise an der Tafel. „Ja das bin ich, ich glaub’s nicht.“ Da war ich. Schamlos benutzt als Werbemittel verzierte mein Gesicht einen internationalen Ausweis mit dem Namen David Mitchell. Wir betrachteten den Ausweis für einen Augenblick still.
„Der Name passt viel besser zu Dir.“ „Danke Schatz.“ „David Mitchell, mmh.“ „Ich habe es begriffen Anne.“
Der Verkäufer wurde auf uns aufmerksam. Ein junger Typ mit zotteligen längeren Haaren. Ich zeigte auf mein Passfoto und machte eine anerkennende Geste. „Ahhh, ju want student card.“ „Oh, no no, i just think it’s funny.“, sagte ich und deutete erneut auf das Bild von mir. „Jes, werri fanni, hau menni du ju want, ei meek gud preis for ju?“ „Sicher!“ Ich merkte wo das hinführte. „No, I just think it’s funny that you’ve used my picture.“ Er verstand kein Wort, wie ich sah, blickte mich aber ungeduldig an. Anne griff ein. Sie bewegte ihren Zeigefinger zwischen meinem Gesicht und dem Studentenausweis mehrmals hin und her und sagte: „Do you see? Same person. That’s him. His picture. Do you understand?“ „Ahhh…“ Es machte also klick. „…hau menni?“
Wir gaben auf. Es hatte keinen Zweck. Deshalb winkten wir ab und gingen davon. Man konnte ihn noch etwas brabbeln hören, was vermutlich nichts Nettes war, aber uns war es egal.
Am nächsten Morgen war mein altes Problem zurück. Ich konnte auf der rechten Seite kaum etwas hören und auch verspürte ich einen gewissen Druck im Ohr. Das war nicht gut, denn in zwei Tagen wollten wir nach Deutschland fliegen und ich muss gestehen, ich bekam etwas Bammel in diesem Zustand das Flugzeug zu betreten. Ich bin zwar kein Doktor, aber ich weiß das bei extremen Höhen oder Tiefen mit Ohrenproblemen nicht zu spaßen ist. Deshalb entschied ich mich dazu, einen Arzt aufzusuchen. Einfach nur um herauszufinden, ob ein Flug für mich unbedenklich ist oder nicht.
Ein Arztbesuch in Thailand, nun ja, wie schlimm könnte es werden, dachte ich. Bestimmt ist alles sehr verkommen und unhygienisch, aber ich wollte ja keine Operation, sondern einfach nur mal einen Blick in meinen Gehörgang von einem Doktor. Und das wird doch wohl in diesem beinahe Dritte Welt Land möglich sein. Ich bereitete mich jedenfalls aufs Schlimmste vor und Annes mitleidige Blicke bauten mich leider auch nicht unbedingt auf. Aber ich musste es hinter mich bringen.
So machten wir uns auf zum Arzt, welcher nur ein kleines Stück von unserem Hostel entfernt war. Die Khao San Road war an diesem Vormittag nicht sehr belebt. Die ersten Shops öffneten langsam und so manche Backpacker schlenderten schläfrig im Schatten der Häuser entlang. Vielleicht auf der Suche nach einem Straßenrestaurant um ein günstiges Frühstück zu ergattern.
Mir war nicht nach Essen zumute.
Wir sahen das Schild schon von weitem, folgten diesem und standen plötzlich vor einem kleinen Betonklotz welcher demnach als Arztpraxis diente. Von außen sah alles noch gut aus, dachte ich und wir gingen hinein, wobei Anne mir noch einen bedauernden Blick von der Seite zuwarf.
Aber wenn man das Schlimmste erwartet, kann es eigentlich nur besser werden. Es wurde aber nicht „nur besser“, es wurde ein wahres Lebensgefühl.
Wir hatten das Zimmer noch nicht einmal betreten da kam die Schwester schon auf uns zu um uns zu begrüßen, wobei sie ihre Hände flach aneinander legte und freundlich mit dem Kopf nickte. Sie wies uns zwei Polstersessel zu und fragte, ob wir etwas trinken wollten. Ich war sprachlos und Anne grinste über beide Ohren. Wir wollten nichts trinken aber dieser Empfang war beeindruckend. Soviel Freundlichkeit.
Die Ärztin kam kurz darauf und begann sofort mit meiner Behandlung. Ich erklärte ihr natürlich mein Problem und die Besorgnis den Flug anzutreten. Sie hörte mir aufmerksam zu. Ich schätzte sie auf Mitte Fünfzig und ihr freundliches Wesen war einnehmend. Doch leider konnte sie mir nicht weiterhelfen, wie sie mir mit fast perfektem Englisch erklärte. Sie verfüge nicht über die nötige Apparatur um die erforderlichen Tests zu vollziehen. Deshalb müsse sie mich ins Krankenhaus schicken, um sicher zu gehen dass ich eine vernünftige Behandlung bekommen konnte.
Weiter brauchte ich mir keine Sorgen machen, wie sie sagte. Ein Auto würde kommen um Anne und mich ins Hospital zu chauffieren und selbstverständlich nach der Behandlung wieder zurück in unser Hostel bringen. Ich war sprachlos und Anne grinste noch immer über beide Ohren.
Unser Fahrer kam kurze Zeit später. Er parkte den Kleinbus direkt vor der Tür, holte uns freundlich aus der Praxis und öffnete uns dann die Schiebetür damit wir ohne Probleme einsteigen konnten. Abgesehen von meinen Ohrenschmerzen fühlte ich mich großartig und Anne, ja ich glaube sie konnte ihr Glück nicht fassen. Ihr Grinsen wirkte beinahe künstlich als sie auf der Lederbezogenen Sitzbank Platz nahm. So fühlen sich also Prominente, mutmaßte ich.
Was passierte hier, fragten wir uns. Da geht man zum Arzt um sein Problem untersuchen zu lassen. Dieser hat aber nicht die benötigte Gerätschaft. Also müsste ich doch einfach weggeschickt werden, dachte ich. Aber wir saßen in einem Luxusschlitten mit getönten Scheiben, auf einer mit Leder bezogenen Sitzbank, hatten eine Minibar, aus der Anne sich natürlich schon einen Saft genommen hatte, und schauten in den Flachbildfernseher, welcher genau vor uns angebracht war. Und unser Chauffeur fuhr mit uns circa fünfundvierzig Minuten durch Bangkok um uns in ein Krankenhaus zu bringen.
Und als wäre dieser Transport nicht schon genug gewesen, verließ mich nun mein Verstand komplett als wir die Auffahrt zum Eingang herauf fuhren und mein Unterkiefer klappte nach unten. Selbst Anne brachte vor Staunen keinen Laut mehr heraus.
Der Eingangsbereich sah aus wie bei einem sehr teuren Luxushotel. Die Strasse krümmte sich in einem Bogen genau vor dem Glaseingang. Links und rechts von diesem standen Palmen und die schönsten tropischen Gewächse. Ein Pförtner stand im Portal und organisierte ankommende und abfahrende Fahrzeuge.
Unser Van hielt genau so, dass die Schiebetuer sich vor dem Eintritt öffnete. Ich konnte es nicht glauben. Das sollte ein Krankenhaus sein, erkundigte ich mich laut. Ich meine da fehlte nur noch der rote Teppich und dieses Schauspiel wäre nicht zu übertreffen gewesen.
Das war keine Klinik, das war ein Urlaubsort. Wir gingen hinein wobei uns der Pförtner höflich begrüßte und uns mit dem linken Arm sporadisch die Richtung wies. Eine zweite Glastür öffnete sich und wir standen in einer großen Halle.
Nein, das war keine Halle, das war das Paradies. Wenn ich wegen meinen Ohren sterben müsste, dachte ich, dann hier. Es war beeindruckend. Da war ein wunderschöner Bambusgarten mit einem kleinen wunderschönen Springbrunnen eingebettet in modernster wunderschöner Architektur. Ein wunderschöner Empfangstresen mit wunderschönen Empfangsdamen. Ein Klavierspieler saß an seinem Piano und spielte eine wunderschöne und sehr beruhigende Musik. Es war einfach, nun, mir fehlt das passende Wort…, …es war „wunderschön“.
Ich glaubte damals kurzzeitig eine Erklärung für all jenes gefunden zu haben und war überzeugt ich sei bereits durch den Druck auf meinem Ohr elendig umgekommen und befand mich nun, im Widerspruch zu dem was mir meine Mitmenschen ständig sagen, dennoch im Himmel.
Eine freundliche und wunderschöne Dame riss mich aus meinem Traum. Sie führte uns zu einem Schalter an dem meine Personalien aufgenommen wurden und auch ein Foto von mir geschossen wurde. Es diente der Herstellung einer Chipkarte, welche mir in kürzester Zeit überreicht wurde.
Mit dieser Karte konnte ich nun theoretisch alle Angebote des Krankenhauses nutzen. Ob Darmspiegelung, Magenverkleinerung oder eine Schönheitsoperation, alles würde auf der Karte gespeichert und müsste dann später an der Kasse bezahlt werden. Ich überlegte noch kurz, entschied mich aber nur dafür meine Ohren untersuchen zu lassen. Das sollte vorerst genügen.
Wir wurden von einem jungen Mann in Uniform in einen anderen Flügel dieses gigantischen Gebäudes gebracht. Offensichtlich zur Ohrenabteilung. Wir kamen vorbei an den verschiedensten Abteilungen und auch an einem Museum. Ja genau, Ein Museum. Ein Museum in einem Krankenhaus. Wir konnten es nicht fassen. Okay, es war nicht unbedingt groß, aber es war ein Ort an dem ich mich wohl fühlen konnte. Anne hauchte irgendetwas Unverständliches vor lauter Erstaunen und marschierte danach grinsend hinter dem Personal und mir hinterher.
Kurz darauf kamen wir in die gesuchte Abteilung. Dort verwies uns der freundliche Mann einen Augenblick im Wartesaal Platz zu nehmen. Danach verabschiedete er sich bei uns. War der Typ nur dazu da, um Patienten in die richtigen Stationen zu begleiten, fragten wir uns. Wie dem auch sei, wir nahmen Platz.
Anne blickte sich um und war überwältigt von dem was sie sah. Das Grinsen verlor sie dabei nicht. Ich muss gestehen mir erging es nicht anders. Der Warteraum war nicht besonders groß. Einige Sitzbänke für jeweils drei Personen standen in der Mitte des Saals und waren so ausgerichtet, dass man als wartender Patient den Flachbildfernseher sah. Es lief gerade eine Dokumentation auf dem Discovery Chanel, worüber Anne sich natürlich wieder freute. Nicht weit von uns war ein Tablett aufgestellt auf welchen sich Getränke befanden.
Anne musste sich schon eins gegriffen haben bevor sie sich zu mir setzte, denn sie schlürfte bereits an einem Orangensaft. Selbstverständlich grinsend.
Ich saß keine drei Minuten und wurde auch schon aufgerufen. Eine wunderschöne Schwester begleitete mich ins Sprechzimmer wo ein Arzt mich freundlich begrüßte. Ich hätte jetzt am liebsten geschrieben, er wäre auch „wunderschön“ gewesen, aber das wäre gelogen. Er sah aber sehr gebildet aus. Ich erklärte ihm also mein Problem wobei er mir aufmerksam zuhörte. Er stellte mir auch eine Unmenge an Fragen zu meiner medizinischen Vergangenheit und kurz darauf begannen die Tests.
Zuerst wurde mein Gehör von einer anderen jungen wunderschönen Schwester getestet und gleich danach wurde ich von ihr in einen anderen Raum gebracht. Er war wunderschön und hatte eine kleine Druckkammer in welcher mein Druckausgleich von einer Ärztin überprüft wurde. Sie war schon etwas älter sah aber noch sehr gut aus, also fast wunderschön.
Ich wurde gebeten mich einen kleinen Augenblick in den Wartesaal zu setzen, da nun die Auswertung der Tests begann. Anne bekam gar nicht mit, dass ich schon wieder zurück war. Sie war völlig gefangen von der Doku im Fernsehen und bekam beinahe einen Schreck als sie mich neben ihr sah. „Bissu schon wieder da? Dat ging ja schnell.“ „Häschen, ich war fast eine Stunde in Behandlung.“ „Bohh, dat kam mir gannich so lange vor.“ Es standen drei leere Becher neben ihr, wie ich sah und sie daraufhin etwas fragend anstarrte. „Ich hatte echt Durst.“, sagte sie, wobei sie ihren Blick aber nicht vom Discovery Chanel nahm. Sie fühlte sich halt wohl.
Ich hätte mir allerdings gerne etwas mehr Aufmerksamkeit ihrerseits gewünscht. Ich wurde dann erneut aufgerufen. Der Doktor erklärte mir als Erstes das der Heimflug unbedenklich sei. Das war gut zu wissen. Ich hätte allerdings eine Entzündung in beiden Ohren. Der Grund waren anscheinend die Wattestäbchen. Ich benutze diese fast täglich wie ich ihm sagte, wobei er eine mahnende Geste machte.
Es ist überhaupt nicht gut diese anzuwenden und ich sollte es auf jeden Fall lassen, wie er mir sagte. Ich bekam noch Tropfen und Tabletten mit auf den Weg und die Behandlung war somit abgeschlossen. Ich bedankte mich bei ihm und ging zu Anne. Sie saß noch immer auf ihrem Platz und genoss den bereits fünften Saft. „Bist schon feddich?“ „Entschuldige bitte, dass ich schon wieder da bin.“ „Nee, so hab ich das doch gar nicht gemeint. Aber es war gerade so gemütlich.“
Ich glaubte es nicht. Anne hatte sich offensichtlich eingelebt und war somit enttäuscht, dass es mich nicht schwerer getroffen hatte und nicht mehr Zeit im Behandlungszimmer verbrachte. „Anne komm jetzt bitte.“ „Okay.“
Die Kasse befand sich unten im Hauptsaal. Wir folgten einfach der Pianomusik, sahen dann von weitem den Bambusgarten, passierten noch das Museum und waren da.
Eine der wunderschönen Kassiererinnen bat mich an ihren Schalter. Sie zog meine vorher angefertigte Chipkarte durch ein Lesegerät und schrieb die Rechnung. Keine zwei Minuten später war sie fertig und wurde mir überreicht. Die wunderschöne Frau faltete dabei ihre Hände und nickte freundlich mit ihrem Kopf. Ich nickte zurück und Anne grinste wieder.
Umgerechnet fünfunddreißig Euro hatte uns dieses Vergnügen gekostet, was im Endeffekt komplett von unserer Auslandskrankenversicherung übernommen wurde. Wir durften danach noch einen kleinen Moment bei dem Pianospieler verweilen, da unser Fahrer organisiert werden sollte. Ein Lied später wurden wir von dem netten Empfangsherren benachrichtigt, dass unser Fahrzeug nun bereit für uns wäre. Grins.
Unser Luxusbus mit den Ledersitzen stand vor der Tür und die Schiebetür wurde uns vom Fahrer geöffnet, als wir durch den Glas Eingang traten.
„Ich muss pullern.“ Sagte Anne noch bevor sie Platz nahm und sogleich auf das Getränketablett im Wagen stierte.
Wir wurden genau vor unserem Hostel abgesetzt. „Ist auch wirklich alles in Ordnung mit deinen Ohren Hasi?“ „Ja Anne.“ „Wirklich ja? Oder hat der Arzt gesagt du sollst nochmal hinkommen?“ „Nein Anne, ich brauch nicht noch einmal wiederkommen.“ „Aber wenn doch noch irgendetwas ist, dann…!“ „Anne jetzt ist Schluss!“

Einige Wochen später

Es war schon ein verblüffendes Erlebnis. Ich meine jedoch nicht den Krankenhausbesuch. Ich denke eher an unsere gesamte Reise und diese medizinische Dritte Welt Oase war eigentlich nur das I-Tüpfelchen von allem was wir erleben durften.
Und als wäre es noch nicht genug, an einem Donnerstagmorgen befand sich eine Postkarte in unserem Briefkasten. Mr. Poh hatte sie verfasst und teilte uns in kurzen Sätzen und mit seinem, uns allzu bekannten, gebrochenem Englisch mit, dass unser Paket das Dorf erreicht hatte. Wir konnten es kaum glauben.
Er schrieb, dass er das Englisch-Laotisch Übungsbuch sogleich dem Mönch Sinnah gegeben hatte. Er war wohl überaus glücklich. Den Kindern in der Schule hatte er die Hefte und Stifte überreicht. Auch sie haben sich sehr gefreut und ließen uns viele Grüsse zukommen.
Wir waren so hingerissen von dieser Karte und obwohl nicht viele Worte auf ihr geschrieben standen, eines war sicher: „Dieses Mal hatten die Stifte gereicht!“